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Versitzplatzung

 

 

 

Wir wollen unsere 90 Minuten nicht absitzen
Sitzen ist immer noch für`n Arsch
Der Einsatz von BAFF für den Erhalt der Stehplätze ist vor allem ein Einsatz für den Erhalt einer bewährten Fankultur. Aber auch für sozialverträgliche Preise, denn Sitzplätze bedeuten immer noch einen deutlichen Preisanstieg, der einen regelmäßigen Stadionbesuch von jugendlichen und/oder finanzschwächeren Fußballfans erheblich erschwert. In Stadien wie Leverkusen müssen Fans bis zu 60 DM zahlen, um auf Kunststoff- oder Metallschalen, den eigenen Verein spielen zu sehen. Dabei zeigt sich, daß viele Fans während des Spiels auf den Sitzschalen stehen, wodurch die Verletzungsgefahr erhöht wird.
Auf Stehplätzen kann man auch den Standort verändern, wenn einem das Umfeld am Spieltag mal nicht so gefällt. Bei einer Sitzplatzdauerkarte mit einem festgelegten Platz für eine ganze Saison neben einem Unsympathen ist das nicht mehr so einfach. Ein spontanes Ausweichen wie auf den Stehplätzen ist auf einer Sitzplatztribüne nicht möglich. Wenn einer die Sitzreihe kurzzeitig verlassen möchte, müssen alle anderen in der Reihe - wie im Kino - aufstehen, um den Durchgang zu ermöglichen. Dieses Hühnerstangenprinzip macht eine Kommunikation zwischen Fans schwieriger bis unmöglich, während das lockere Umherstehen verschiedenartige Kommunikation fördert - sei es nun über das Spiel, das Fußballgeschehen allgemein, gemeinsames Anfeuern/Singen oder freundschaftliche Bereiche mit dem einfachen "Zusammen Anstoßen".

Bei besser besuchten Spielen erschweren festgelegte Sitzplatzkarten zusätzlich spontane Stadionbesuche, denn es kann vorkommen, daß der oder die mitgebrachten Freunde nicht nebeneinander sitzen können.
Der Stehplatzbereich ist ein traditioneller Ausgangspunkt von Fankultur, ein reichhaltiges Gebilde mit historisch gewachsenen, festen Standorten für bestimmte Fan- und Zuschauergruppen. Aus dem stehenden und somit beweglichen Fanpulk heraus wollen wir Fußballfans durch individuelle Kommentare und Gesänge den uns möglichen Einfluß auf das Geschehen auf dem grünen Rasen, aber auch auf die umherstehenden Fans ausüben. Im Gegensatz zu den Sitztribünen, wo der Zuschauer durch numerierte Plätze festgelegt ist, gibt es im Stehplatzbereich die Möglichkeit der Bewegungsfreiheit während des Spiels (nicht nur in der Halbzeitpause). Fußballfans geht es neben dem Spielbesuch auch darum, weiter entfernt stehende Freunde und Bekannte zu treffen und neue Menschen kennenzulernen.
Durch die Einrichtung von Stehplätzen ist es möglich, fangemäß gemeinsam und sich umarmend Siege zu feiern oder tröstend Niederlagen zu erleiden.
Das Stadion mit seinen Stehplatzbereichen ist ein Ort zwischenmenschlicher Begegnung. Ein reines Sitzplatzstadion würde diese gewachsenen Fanstrukturen auseinanderreißen und den nachwachsenden Fangenerationen diesen erhaltenswerten Weg abschneiden.
Die Erfahrungen aus England, aber auch die verhaltenen Vorstellungen der Leverkusener oder Dortmunder Fans bei ihren Heimspielen beweisen, wie sehr die Stimmung im Stadion unter der Versitzplatzung leidet. Das hat nicht zuletzt mit dem Publikumsaustausch durch die Preiserhöhungen und der Disziplinierung von Fußballfans zum Tennispublikum zu tun.
Hier ziehen UEFA und die Vereine an einem gemeinsamem Strang. Bei Spielen der Premier League werden Fans von Ordnern ermahnt, wenn sie zu lange vor ihrem Sitzplatz stehen bleiben. Hier entsteht eine Sichtbehinderung für das sitzenwollende Publikum, hinzu kommt der zumeist vorgeschobene Sicherheits- und Ordnungsaspekt. Solche und andere Auswirkungen waren auch während der WM «98 in Frankreich wieder zu beobachten. Fußballweltmeisterschaften sind immer - in sportlicher wie fankultureller Hinsicht - ein Wegweiser für die Entwicklung im Liga-Alltag gewesen. Bei der WM «98 wurden auf unverschämte Art und Weise Sponsoren, "Ehrengästen" und finanziell besser Gestellten gegenüber den Fans bevorzugt. Die verzweifelnden Fans mußten leider draußen bleiben - angesichts des knappen Kartenkontingents und der explosionartigen Preisentwicklung für eine begehrte Eintrittskarte. Übrig blieb überwiegend schlechte Stimmung, nicht zuletzt aufgrund der Sitzplatzarenen, welche generell weniger Zuschauervolumen bieten und den "gemeinen" Fußballfan draußen stehen läßt.Die von der UEFA angeführte höhere Sicherheit auf Sitzplatztribünen erweist sich als Trugschluß; die Räumung eines Stehplatzareals im Panikfall geht schneller und reibungsloser vonstatten als die eines Sitzplatzblocks. In diesem werden die Sitzreihen zu gefährlichen Stolperfallen. Die Gefahr, daß Menschen in überfüllten Stehplatzblöcken erdrückt werden, ist zu minimieren, wenn die Käfighaltung hinter Zäunen abgeschafft und die Menschen im Panikfall auf den Rasen ausweichen könnten. Die Katastrophe von Guatemala 1996 fand übrigens in einem reinen Sitzplatzstadion statt. Damals kamen beim WM-Qualifikationsspiel 84 Menschen in einem überfüllten Block ums Leben, 147 wurden zum Teil schwer verletzt.
Nach den Katastrophen von Heysel und Hillsborough hätten die Verantwortlichen sich besser damit beschäftigen sollen, wie man Stehplatzareale sicherer gestalten kann und nicht nur an ihrer Abschaffung wirken. Statt dessen boten diese Vorfälle einen willkommenen Vorwand für UEFA, den englischen Verband und seine Vereine, endlich auf die salonfähigeren, sponsorenträchtigeren und finanziell lukrativeren Sitzplätze umzusteigen.
Zumindest für die Bundesligen ist es falsch, wenn die UEFA immer noch behauptet, daß die Gewalt in Fußballstadien von den Stehplatzbereichen ausgeht. Angaben der Polizei und Erfahrungen der Fan-Projekte zeigen auf, daß sich Hooligans beinahe ausschließlich auf den Sitzplätzen befinden und sich die Gewalt durch den fortgeschrittenen Sicherheitsapparat in Parks, auf Rastplätze und in Innenstädte verlagert. Den internationalen Beweis lieferten dafür aktuell die Ausschreitungen bei der WM in Frankreich.

 

Druckbare Version Blatterwahn - Stehplätze sind Fankultur Über Alternativvorschläge und Multi-Arenen