Über Alternativvorschläge und Multi-Arenen
Über Alternativvorschläge und Multi-Arenen
Das Nürnberger Stadion ist mit seinem vollständig mobilen Sitzsystem ein positives Beispiel für eine variable Lösung. Es ist in kürzester Zeit mit verhältnismäßig wenig Aufwand abbaubar. Klappsitzschalen hingegen belassen zwar Stehmöglichkeiten, aber die Sitzvorrichtung (mit Stangen auf jeder Traverse wie im Münchener Olympiastadion) schafft Hindernisse. Auch das Freiburger Modell mit den Stehplätzen im Parterre und den Sitzplätzen auf den erhöhten Rängen wären akzeptable Kompromisse. Der HSV hat ein neues Vario-Sitzsystem in Auftrag gegeben, das 6.000 Heim- und 3.000 Gästefans den Stehplatz erhalten wird. Der "HSV-Sitz" ist eine preisgünstigere Form des in der multifunktionalen Köln-Arena bislang weltweit einmalig eingebauten Sitzes. Dabei verschwindet durch manuelle Betätigung die Sitzschale / Sitzreihe mitsamt der Lehne in der Rückwand der Stufe, wodurch ein unbehindertes Stehen wie auf den jetzigen Stehplatztribünen ermöglicht würde.
Viele neue Stadien sollen vorrangig Sitzplatzcharakter haben wie in Mönchengladbach oder den vielerorts geplanten Multi-Arenen mit ihren angeschlossenen Einkaufspassagen. Trotzdem gibt es im Zuge solcher Planungen mittlerweile einen Trend, der durchaus die Bedeutung der Stehplätze anerkennt und miteinbezieht. Die Stehplatzbesucher mit ihren nachwachsenden Generationen als traditionelles "Kundenpotential" rücken mehr und mehr ins Bewußtsein der Clubführungen. Nicht zu vergessen die Stimmung, die von den Stehrängen ausgeht. Die Atmosphäre ist nicht nur wichtig für den Fan selbst, sondern auch für ihren Konsumenten auf der Sitztribüne, für die Vereine (die damit um Sponsoren- und Medienaufmerksamkeit ringen) und nicht zuletzt für die Spieler auf dem Feld.
So plant Schalke 04 mit 20.000 Stehplätzen in der neuen Arena, das neue Volksparkstadion Hamburg wird - wie gesagt - in naher Zukunft 9.000 Stehplätze erhalten, Dortmund hat bereits in der letzten Saison Sitzplätze zurückgebaut und in Bremen wurde beim Bau der neuen Ostkurve das Stehplatzpotential der Werder-Fans berücksichtigt.
Daß eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem Verein und seinen Fußballfans in solchen Fällen tatsächlich funktionieren kann, zeigen vor allem die Beispiele Bremen und Schalke. Hier setzten sich beide Seiten zusammen und arbeiteten an einer konstruktiven Kompromißlösung.
Ein weiteres Beispiel für eine produktive Zusammenarbeit zwischen Verein und "Kunde" ist, wie bereits angedeutet, die Köln-Arena. Die Kölner Haie haben als Mieter der neu entstehenden Halle nach Diskussionen mit ihren langjährigen Fans entschieden, daß auch im Eishockey-Sport die Stehplatzkultur einen unumgehbaren Aspekt darstellt. Daraufhin hat der Vereinsvorstand als Bedingung für einen Einzug in die neue Arena die Einrichtung von ausreichend Stehplätzen bereits während des Bauvorgangs im Mietvertrag festlegen lassen.
In England wird mittlerweile die altbekannte Selbstinszenierung der Fans in "singing sections" ermöglicht. Die Stehplatzfrage war auf der Insel sogar so populär, daß die jetzige Regierung der Labour-Partei im Wahlkampf in manchen Wahlkreisen mit dem (uneingelösten) Versprechen der Wiedereinführung von Stehplätzen antrat.
Trotz alledem darf nicht vergessen werden, daß die Probleme des Stehplatzverlusts mit den in vielen Städten geplanten multifunktionalen Arenen gegenwärtig immer größere Fangruppen betreffen. Vereine und Verbände heucheln zwar Verständnis, passen sich allerdings ohne jegliche soziale Verantwortung den sogenannten wirtschaftlichen Sachzwängen an, die letztlich zum Ausverkauf des Fußballs führen werden. Gesteigert wird dies noch durch die anstehenden rechtlichen Umwandlungen von Vereinen in Unternehmensgesellschaften; Stichwort: Börsen und GmbHs. Verantwortliche des DFB zucken hilflos mit den Schultern und verweisen die Fans auf irgendwelche inkonsequenten Alibi-Erklärungen für Stehplätze an die UEFA.
Die multifunktionalen Arenen, wie sie mancherorts mit nur geringem Einfluß der Kommunen und Vereine von privaten Betreibergesellschaften gebaut werden sollen, symbolisieren die Ängste von uns Fußballfans. Sie liefern zwar vermutlich äußerst geringe, aber dennoch Chancen der Einflußnahme. Fangruppen vor Ort könnten sich zusammenschließen und vielleicht auch Unterstützung bei örtlichen Fan-Projekten einfordern, um den jeweiligen Verein als späteren Anmieter dieser "Halle" auf ihre "Kundenwünsche" aufmerksam zu machen.
Auch auf die Stadt mit ihrer sozialen Verantwortung kann der Fan als Steuerzahler zugehen. Neben den "nur" 17 Heimspielen plus evtl. DFB-Pokal-Heimspiele des örtlichen Fußballvereins sollen in einigen Großarenen viele weitere Veranstaltungen à la David Copperfield, Lord of the Dance oder Rock-Konzerte stattfinden. Die machen nach Meinung renommierter Architekten und Veranstalter eine komplett einfahrbare, "Teleskoptribüne" sinnvoll. Die Plätze hinter der entstehenden Bühne würden allerdings zu solchen fußballosen Veranstaltungen sowieso nicht verkauft, und so könnten auf der Teleskop-Tribüne manifeste Stehplätze für Fußballfans entstehen.