BAFF und die WM 2006 - Ein Fazit
Schon lange vor der WM hat BAFF einige Forderungen im Hinblick auf die WM aufgestellt und veröffentlicht. Erstaunlich ist, dass im Nachhinein doch einige dieser Punkte verwirklicht worden sind, auch wenn sich andere die Erfolge oder die Erfindung zuschreiben. Im Einzelnen wurden folgende Punkte gefordert (nach dem Punkt folgt jeweils ein Kommentar zur Umsetzung):
- Die Stadionum- und -neubauten dürfen nicht auf Kosten der Stehplätze nach dieser Großveranstaltung gehen. 4 Wochen WM - ein Leben lang sitzen - nein, danke! Dazu ist es notwendig, nach der WM wieder Sitzplatzbereiche in Stehplätze zurückzubauen. Es darf nach der WM nicht noch weniger Stehplätze geben als es schon jetzt der Fall ist.
Erfreulich ist aus der Sicht des Bündnisses aktiver Fußballfans, dass in den meisten Stadionneu- oder -umbauten Stehplätze mit berücksichtigt wurden, teilweise sogar reine Stehplatzblöcke und keine Kombieinrichtungen. Auch in den Stadien, die keine Stehplätze haben, wie z.B. in München, werden zumindest Sitzplatzareale als Stehplätze und somit zu Stehplatzpreisen verkauft. In Folge der WM hat sich sogar in Kaiserslautern die Situation dahingehend verbessert, dass Kombiplätze in reine Stehplatzplätze umgewandelt werden, evtl. sogar die Blocktrennung wegfällt und somit den Forderungen der Fans aus Kaiserslautern nachgekommen wird. Leider ist es aber trotzdem so, dass sich insgesamt das Verhältnis preiswerter Stehplätze zu teuren Sitzplätzen zugunsten der Sitzplätze verschoben hat. Waren früher häufig 50 % aller Plätze Stehplätze, so sind heute oft nur noch 25 – 15 % der Gesamtkapazität in den WM-Stadien oder der Bundesliga, mit wenigen Ausnahmen, Stehplätze.
- In die Inszenierung (Regie) der Spiele sollten Fans eingebunden sein, die sensibel auf die Atmosphäre in den Stadien reagieren können. Auch im Ligaalltag eine wichtige Forderung: das Stadionradio soll die Fans nicht Totdröhnen und nur passive Konsumenten formen, sondern den aktiven Mitgestaltungswillen der Fans achten.
Dieser Punkt findet sich kaum wieder in der tatsächlichen WM. Viele im Ligaalltag normale Fanutensilien wie Doppelhalter, große Fahnen oder ein Megaphon waren komplett verboten. Auch gab es einige Probleme, geeignete Plätze für Transparente und Fahnen zu finden, die oft nur hinter den Toren erlaubt waren oder weiter oben, auch wenn an den Banden Platz gewesen wäre. Im Vergleich zur Bundesliga gab es allerdings in manchen Stadien trotzdem mehr Möglichkeiten, Fahnen aufzuhängen, da weniger Werbebanden vorhanden waren, die im Alltag oft die Möglichkeiten der Fans stark einschränken, da nicht an Plätze für Transparente und Fahnen gedacht wird. Die Stimmung selbst hielt sich in den Stadien oft in Grenzen, da teilweise nur wenige Fans der teilnehmenden Länder im Stadion waren bzw. nicht die Fans, die im Ligaalltag der Länder für Stimmung sorgen. Neutrale Besucher, vor allem aus Deutschland, feierten aus Sicht von BAFF bedauerlicherweise bei Spielen anderer Nationen lieber sich selbst oder das Ausscheiden von Holland, anstatt sich auf das Spiel im Stadion einzulassen. Für die Fans aus dem Gastgeberland zeugte dies nicht unbedingt von viel Respekt den anderen Ländern gegenüber.
- Fans und Fanorganisationen wie BAFF oder Pro Fans bzw. die Fanprojekte müssen in die Organisation der WM eingebunden sein. Wer, wenn nicht die Fans, wissen was zu tun ist, damit wir uns im Stadion und drumherum wohl fühlen. Wir wollen als Gäste empfangen und behandelt werden und nicht als potentielles Sicherheitsrisiko. Auch sollten in den WM-Städten vor Ort die Fangremien in die Planungen mit einbezogen werden. Dazu zählen die Fanprojekte, Faninitiativen oder auch die örtlichen Fanclubs. Diese könnten z.B. Fanturniere, Begegnungen usw. mit den internationalen Gästen initiieren.
Dieser Punkt wurde nur teilweise verwirklicht. Die Fanprojekte waren über das Konzept der Fanbotschaften vor Ort mit einbezogen und auch in der Vorbereitung mit dabei. BAFF wurde im Vorfeld zwar als Gesprächpartner der Medien oder bei vielen Veranstaltungen gesucht, aber nicht vom WM-OK oder dem DFB gefragt. Auch viele engagierte Gruppen vor Ort, z.B. aus der Ultra-Szene, nahmen nicht daran teil. Meist bestand aber auch kein Interesse daran, sich zu beteiligen. Gründe hierfür waren aber auch, dass viele Fans sich ausgegrenzt fühlten von offizieller Seite, die Kommerzialisierung der ganzen Veranstaltung und oft auch die Vorgaben der FIFA, die ein mitwirken nicht immer sehr einfach machten. Allerdings blieb es jedem selbst überlassen, sich aktiv an dem Spektakel in irgendeiner Form zu beteiligen und viele Organisationen machten auch alternative Programmangebote, Lesungen, Konzerte, Demos, Ausstellungen im Rahmen der WM, auch wenn diese keine offiziellen Programmpunkte waren und leider von den Medien oft auch nicht beachtet wurden. Beispielhaft seien hier die Ausstellungen „Ballarbeit“ oder „Freiheit für die Kurve“ genannt und auf die Aktionen unter dem Titel „Spielverderber 2006" bzw. "Vorrundenaus 2006“ hingewiesen, an denen auch teilweise BAFF beteiligt war. Das offizielle Kulturprogramm der WM zeigte leider kaum Interesse daran, aktiv Fans mit einzubinden.
- Wir erwarten vom Organisationskomitee und den Sicherheitsbehörden ein differenziertes und abgestuftes Vorgehen. Sicherheitsaspekte sind wichtig, dürfen jedoch nicht an erster Stelle stehen. Schon jetzt wird aus der Fanszene eine zunehmende Repression beklagt. Es muss auch gerade bei einer WM im Fußballland Deutschland möglich sein, lebendige Fankultur im Stadion auszuleben.
Im Vorfeld der WM musste man den Eindruck gewinnen, dass das Thema Sicherheit alles dominiert. Es wurden große Ängste geschürt und versucht, über die WM z.B. Bundeswehreinsätze im Inland zu legitimieren. Auch viele Stadionverbote und Einträge in die Datei Gewalttäter Sport im Vorfeld der WM waren an der Tagesordnung. Dagegen wurde die Ombudsstelle, die auf einer gemeinsamen Sitzung von Fanvertretern, DFB und dem Innenministerium versprochen wurde, bis heute nicht eingerichtet. Massive Videoüberwachung des öffentlichen Raumes, die teilweise in diesem Umfang auch nach der WM bestehen bleibt oder zumindest einsatzbereit ist, ist eine ganz neue Dimension in Deutschland. Ein Rückbau auf den Zeitpunkt vor der WM wäre wünschenswert. Vollkommen überzogen aus Sicht des BAFF waren die Überprüfungen der MitarbeiterInnen rund um die Stadien durch den Verfassungsschutz. Hier wurde eindeutig über das Ziel hinaus geschossen und ein Generalverdacht ausgesprochen. Auch wurde hiermit der freie Zugang zum Arbeitsmarkt doch erheblich eingeschränkt, denn ohne Zustimmung zu einer Untersuchung gab es keinen Job im Stadion. Die Polizeistrategie auf den öffentlichen Plätzen und in den Stadien dann während der WM selbst kann aber, auch wenn in einzelnen Fällen auch hier über das Ziel hinaus geschossen wurde, als positiv eingestuft werden. Die Polizei war trotz großer Präsenz vor Ort, auch durch sehr viele zivile Beamte, insgesamt eher defensiv eingestellt und versuchte deeskalierend aufzutreten. Konfliktschlichter waren im Einsatz und man hatte teilweise im Vergleich zum Bundesligaalltag weniger das Gefühl der Bedrohung durch einen Polizeieinsatz. Die friedliche Atmosphäre erlaubte es auch, dass die Polizei freundschaftlich mit den Fans auch aus dem Ausland umging und es viele „normale“ Kontakte zwischen Fans, Besuchern und Polizei gab. Es wäre wünschenswert, wenn die Polizei auch im Ligaalltag nicht von vorneherein die Fans als böswillige Eindringlinge betrachten würde, mit schwer bewaffneten Hundertschaften in Kampfmontur auswärtige Fans „begrüßt“ und so schon von vorneherein Konflikte und Aggressionen fördert, sondern die Strategie des dezenten Auftretens und der Konfliktschlichtung statt des Knüppelns oder Pfefferspray Sprühens umsetzen könnte. Sie hat bewiesen, dass sie dazu in der Lage ist und von daher ist es eigentlich in Zukunft ein Unding, wenn sie jetzt wieder in alte Verhaltensmuster, Hunde ohne Maulkorb und undifferenziertem bis hin zu brutalem Auftreten gegenüber den Fußballfans zurückfällt.
Teilweise negativ fielen die privaten Sicherheitsdienste vor Ort aus, deren Mitarbeiter oft selbst sehr aggressiv auftraten, schlecht geschult waren und nicht immer den Anforderungen gerecht wurden. Ein Bild, das sich auch oft rund um die Stadien im Ligaalltag zeigt, auch wenn dort nicht kurzfristig massenhaft neue Leute eingestellt werden müssen, sondern das, eigentlich kompetente, Stammpersonal arbeitet. Dass es auch andere MitarbeiterInnen gibt, zeigte sich nämlich auch während der WM.
- Die Eintrittskartenvergabepraxis muss gründlichst überdacht werden. Es muss für alle, die unabhängig von Reiseveranstaltern zur WM wollen, die Möglichkeit geben, Karten zum aufgedruckten Preis zu kaufen. Auch sollen Fußballfans aus den Austragungsregionen die Möglichkeit erhalten, an Karten für "ihr" Stadion zu gelangen. Die Kartenpreise müssen sozial verträglich gestaltet sein. Die Anzahl der Karten pro Verband sollte sich u.a. auch an der Zahl der Fans orientieren, die die jeweilige Nationalmannschaft voraussichtlich unterstützen werden. Die Zahl der Karten für die Sponsoren muss drastisch reduziert werden. Eigentlich gibt es keinen Grund, warum die ihre Karten nicht selbst bezahlen können.
Dies war eines der heikelsten Themen während der WM. Die Ticketvergabe über das Internet ermöglichte zumindest jeder Person den Zugang zu den Tickets, auch wenn die Nachfrage so groß war, dass nicht jede Person, die ein Ticket wollte, auch eines bekommen konnte. Dass der DFB entgegen der Fifa-Vorgabe auch Preise ab 35 Euro anbot, kann ebenfalls begrüßt werden. Dass einige Verbände Tickets allerdings nur in Zusammenhang mit Reisen anboten, blieb leider auch nicht aus. Andere Funktionäre versuchten sich als Schwarzhändler. Kein neues Phänomen. Dass die Anzahl der Karten, die an Sponsoren ging, zu groß war, hat BAFF schon im Vorfeld der WM kritisiert. Einige leere Plätze in den Stadien zeigten dann auch, dass nicht jedes Ticket, das angeblich verkauft war, auch genutzt wurde. In vielen Fällen wurden leere Plätze auch mit Volunteers aufgefüllt, um keine großen Lücken entstehen zu lassen. In einigen Fällen wurden aber auch Tickets, die kurzfristig von VIPs oder Sponsoren zurückkamen, wieder unkompliziert und ohne Personalienfeststellung über Fanbotschaften an Fans verkauft. Ein Schwarzmarkt war vorhanden und konnte nicht eingedämmt werden, auch wenn die angekündigte Personalisierung bei vielen zu einer Verunsicherung führte, die sicherlich auch gewollt war. Allerdings hielt sie eher Fans davon ab, ins Stadion zu gehen, als dass sie den Händlern geschadet hätte. Die Personalisierung und die Erhebung der Daten im Vorfeld ist ein Kritikpunkt. Da es kaum Kontrollen an den Stadien gab, hätte man sie sich auch sparen können. Genauso war die Einführung des RFID-Chips nicht mehr als eine Werbekampagne eines WM-Sponsors. Den Zweck, warum die Karten gekennzeichnet wurden, hätte man auch einfacher erreichen und sich damit auch einigen Ärger im Vorfeld ersparen können. Die Verhinderung des Schwarzmarktes scheiterte grandios und die Umschreibung von Tickets verschlang unnötig Geld der Fans und Zeit der Ticketcenter. Bei Kartenverlust oder Diebstahl ermöglichte die Personalisierung allerdings auch den schnelleren Ersatz der Karten. Aber eine andere Technik, wie z.B. mit Barcodes, hätte dies auch ermöglicht.
Sollte bei der nächsten WM die FIFA das Ticketing wieder übernehmen, wird wohl manches nicht unbedingt besser laufen.
- Auf jeden Fall sollte es für diejenigen, die nicht in die Stadien können, kostenfreie Großbildleinwände in den jeweiligen Spielorten geben, auf denen das Spiel verfolgt werden kann.
Diese Forderung wurde voll und ganz umgesetzt. In jeder WM-Stadt und auch in vielen anderen Städten gab es Public Viewing Veranstaltungen, die kostenfrei waren und einen großen Anziehungspunkt ausübten auf alle Fans, so dass oftmals die Kapazitäten sogar nicht ausreichten. Auch wenn das Angebot teilweise sehr kommerziell war, wurden hier positive Maßstäbe gesetzt für die nächsten Großveranstaltungen. Auch in Portugal wurde dieses Konzept schon erprobt und in den Austragungsorten öffentliche kostenlose Leinwände aufgestellt und positiv angenommen. Wichtig zu sein scheint, dass diese an zentralen Plätzen liegen und gut erreichbar sind.
- In jeder Stadt sollte es eine "Fanbotschaft" geben, wo fanspezifische Informationen auch in der jeweiligen Landessprache angeboten werden. Bezahlbare Unterkünfte und/oder ein zentraler Campingplatz für Fußballfans im oder am jeweiligen Veranstaltungsort - gut ausgeschildert und leicht erreichbar. In das Rahmenprogramm gehören Veranstaltungen, die sich an den Bedürfnissen von jungen Menschen orientieren, z.B. Rockkonzerte, Discos, Kontaktmöglichkeiten etc.
Fanbotschaften wurden in jeder Stadt eingerichtet. Das Konzept, ergänzt durch Betreuer aus verschiedenen Ländern oder zumindest durch Volunteers, die Fremdsprachen beherrschten, kann als erfolgreich betrachtet werden. Vor Ort arbeiteten auch neben den MitarbeiterInnen von Fanprojekten Fans mit, die aus der aktiven Szene kommen. Diese Serviceeinrichtungen mit der Möglichkeit, individuelle Hilfestellung zu bieten, kamen sehr gut an. Teilweise war die Lage der Botschaften leider nicht so zentral wie erwünscht, in anderen Städten dafür umso besser. Ergänzt wurde das Angebot durch einen Fanguide, eine Homepage und die Arbeit von BAFF-Partner FARE, der Antirassismusarbeit vor Ort leistete durch Infostände und eine Streetkickanlage. In jeder WM-Stadt wurden auch so genannte Fancamps zu teilweise sehr moderaten Preisen eingerichtet, die sehr gut angenommen wurden und auch meist recht zentral lagen. Auch gab es in den meisten Städten kostenlose Konzerte, Partyzonen oder andere kulturelle Veranstaltungen, teilweise auch aus den Teilnehmerländern.
- Der Turniermodus sollte es erlauben, längere Zeit an einem Ort verbleiben zu können. Das hätte zwei Vorteile: Erstens müsste man nicht so viel von den jeweiligen Ländern aus organisieren und zweitens wäre es so viel einfacher, mit Einheimischen in Kontakt zu kommen und auch das Land besser kennen zu lernen.
Dies war nicht der Fall. Im Hinblick auf die relativ kurzen Wege in Deutschland, verglichen mit anderen Austragungsländern, war dies aber auch kein großes Problem, da man von jedem Ort innerhalb weniger Stunden den anderen erreichen konnte, auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Aufgrund der Nähe vieler Teilnehmerländer reisten viele Fans auch erst zu den Spielen an und hielten sich nicht die ganze Zeit in Deutschland auf.