Interview mit Wilko Zicht zur WM 2006/Mai 06
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Sicherheitshysterie und Kriminalisierung von Fußballfans
Thema: Kultur, Kategorie: Solidarität 46, veröffentlicht: 12.05.2006
Interview mit Wilko Zicht vom Bündnis aktiver Fußball-Fans (BAFF)
Angeblich fiebert jede und jeder in Deutschland nur noch der Fußball-Weltmeisterschaft im Sommer entgegen. Aus Fankreisen kommt aber erhebliche Kritik an der geplanten Durchführung. Das Bündnis aktiver Fußballfans (BAFF) kritisiert die überzogenen Sicherheitsmaßnahmen.
BAFF kritisiert die Sicherheitsmaßnahmen für die WM. Warum?
Weil hierbei das letzte bisschen WM-Euphorie, das nach Ticket-Ärger und Kommerz-Overkill noch übrig geblieben ist, auch noch droht, erstickt zu werden. Die Erfahrungen der letzten großen Fußball-Turniere in Europa sprechen eine deutliche Sprache: In Frankreich 1998 und vor allem in Belgien und Holland 2000, wo man meinte, die beste Betreuung der ausländischen Fans bestünde in einer möglichst rigiden Polizeiüberwachung, kam abseits der Stadien kaum einmal wirkliche WM-Stimmung auf.
Und bei der Fußball-WM in Deutschland wird dies aus Eurer Sicht ebenso sein?
In den letzten Monaten wurde jedenfalls keine Gelegenheit ungenutzt gelassen, Gefährdungsszenarien an die Wand zu malen, um damit immer neue Sicherheitsmaßnahmen rechtfertigen zu können. Egal, ob es sich um Schnellgerichte, vorbeugenden Gewahrsam, Grenzkontrollen oder Datenaustausch drehte – immer geht es um die Aushöhlung von Grundrechten, die einigen offenbar ein Dorn im Auge sind. Viel mehr Sorgen noch als das Verhalten der Polizei während der vierwöchigen Weltmeisterschaft machen uns ohnehin die Auswirkungen dieser Sicherheitshysterie auf den Liga-Alltag.
Gibt es Gegenbeispiele von anderen Fußballmeisterschaften?
Ja, ganz anders war es 1996 in England und 2004 in Portugal: Hier gab es jede Menge Aktionen und Angebote für Fans, während sich die Sicherheitskräfte angenehm im Hintergrund hielten. Das hat zweifellos zum friedlichen Fußballfest entscheidend beigetragen.
Es werden auch vermehrt Stadionverbote gegen Fans ausgesprochen. Die beim Bundeskriminalamt geführte Datei „Gewalttäter Sport“ wächst beständig. Nimmt die Gewalt in und um die Stadien zu?
Das Gegenteil ist der Fall! Die Bundesliga-Stadien sind ja nicht zuletzt auch deshalb so voll, weil dort niemand mehr Angst vor Ausschreitungen hat. Das war Anfang der neunziger Jahre noch anders. Die Hooligans sind längst aus den Stadien verschwunden und treiben ihr Unwesen allenfalls noch fernab in Wald und Wiese. Ziel der Repression durch Polizei und Vereine sind darum mittlerweile vor allem die so genannten Ultras, das heißt die meist jugendlichen Fans, die stimmungsmäßig im Stadion den Ton angeben. In vielen Ultra-Gruppierungen haben zehn Prozent oder mehr der Mitglieder ein bundesweites Stadionverbot. Meist auf Grund von Bagatellen, die abseits des Fußballs über-haupt keine Beachtung finden würden. Da wird ein Aufkleber im Stadion zur Sachbeschädigung, eine harmlose Pöbelei am Bahnhof zum Landfriedensbruch und das Stibitzen einer gegnerischen Fahne zum Raubüberfall.
Warum findet diese verstärkte Kriminalisierung der Fußballfans statt?
Zum Teil wohl aus ganz banalen Gründen: Wenn hunderte Polizisten am Abend oder am Wochenende Dienst schieben müssen, um ein Fußballspiel zu bewachen, dann wollen sie auch beschäftigt werden. Finden keine Ausschreitungen statt, sind es eben Kleinigkeiten wie die vorhin genannten Bagatelldelikte, denen die Polizisten ihre volle Aufmerksamkeit schenken. Dahinter steckt aber auch die Funktion von uns Fußballfans als Versuchskaninchen für neue Sicherheitsmaßnahmen.
Kannst Du hierfür Beispiele nennen?
Zum Beispiel die Datei „Gewalttäter Sport“: Mittlerweile gibt es vergleichbare Datenbanken auch für politische Gewalttäter links und rechts, nachdem sich die „Hooligan-Datei“ aus Sicht der Polizei bewährt hat. Tatsächlich entwickeln die Einträge in solchen Dateien aber sehr leicht ein Eigenleben. Der erste Eintrag stammt vielleicht von einer Personalienfeststellung, weil man auf der Fahrt zum Auswärtsspiel zufällig in einem Zugwaggon gesessen hat, in dem aus Jux von jemand anderem die Notbremse gezogen wurde. Bei der Grenzkontrolle vor der nächsten Europacup-Begegnung könnte dies dann Grund genug für den Grenzbeamten sein, die Ausreise zu verweigern, was natürlich ebenfalls in der Datei vermerkt wird. Wenn man nun noch vor einem Spiel, bei dem die Polizei mit Ausschreitungen rechnet, in der Stadt in eine Routinekontrolle gerät, muss man damit rechnen, zwecks Gefahrenabwehr in Gewahrsam genommen zu werden. So kann man in den Polizeidateien eine eindrucksvolle Datenspur hinterlassen, ohne jemals etwas Verbotenes getan zu haben.
Aus Sicht von BAFF also eine rechtlich fragwürdige Vorgehensweise?
Ja, denn wirksamen Rechtsschutz gegen diese Form der Polizeiwillkür gibt es kaum, zumal die Betroffenen über ihre Einträge nicht informiert werden. Selbst dort, wo die Maßnahmen eigentlich eine richterliche Bestätigung erfordern – zum Beispiel Ingewahrsamnahmen – werden diese rechtsstaatlichen Sicherungen eiskalt ignoriert. In ähnlich rechtsfreiem Raum bewegen sich die bundesweiten Stadionverbote. Diese werden von den Vereinen auf Basis ihres Hausrechts ausgesprochen, meist auf „Empfehlung“ der Polizei.
Alles in allem ist es der Polizei gelungen, gegen vermeintlich gewalttätige Fußballfans ein umfassendes System aus Sanktionen und Repressalien anwenden zu können, ohne den beschwerlichen Weg über ein strafrechtliches Verfahren gehen zu müssen, wo die Betroffenen durch rechtsstaatliche Sicherungen wie der Unschuldsvermutung geschützt wären. So ist es auch kein Wunder, dass nur ein Bruchteil der Fans, die ein Stadionverbot haben oder polizeilich als Gewalttäter gelten, jemals von einem ordentlichen Gericht verurteilt wurde.