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"Ich warte auf den korrupten Funktionär"

 

„Ich warte auf den korrupten Funktionär“
Die Karten für die WM 2006 sind knapp bemessen, teuer und begehrt. Warum denkende Fussballfans trotzdem nicht um jeden Preis Tickets haben wollen, sondern eher davor warnen, erklärt BAFF-Sprecher Matthias Bettag

BAFF hat pünktlich zum Verkaufsstart der WM-Tickets eine Art Medien-Offensive gestartet. In Radio, TV und Printmedien verbreiten Sprecherinnen und Sprecher hauptsächlich Bedenken gegenüber der WM. Warum eigentlich?
Neben der ungerechten Kontingentierung der Tickets (nur etwa ein Drittel gelangt in den freien Verkauf) ist vor allem die Datenerfassung für die Kartenbestellung nicht hinnehmbar (unten dazu mehr). Günstige Karten sind zu wenige vorhanden und die Kartenverteilung geht sehr zugunsten der VIP-, und Businesskunden sowie der Sponsoren, die an sich für ihr Engagement die Gegenleistung in Form der Werbeflächen und exklusiver Marken-Nennung erhalten. Gratis-Eintrittskarten im höheren Hundertausender-Bereich sind aber offenbar inklusive.
Mit der WM werden viele Steuergelder ausgegeben, angeblich zum Nutzen aller. Durch Stadionausbauten und neue Zufahrten profitieren aber vor allen Vereine, die meist als GmbH oder KGaA geführt werden. Das ist nicht wirklich gemeinnützig. Die FIFA kann jedes Ausrichterland erpressen, indem sie fordert, ihre Gewinne steuerfrei zu kassieren. Wenn sich eine Regierung dem nicht unterwirft, kann die Bewerbung praktisch als gescheitert gelten. Somit werden Teile der zu erwartenden Steuereinnahmen zur Bereicherung des Veranstalters verwendet und kommen dem Ausrichterstatt nicht zu Gute.
Für Fanbetreuung wird kein Geld ausgegeben, es gibt ein teures Kulturprogramm unter der Leitung von Andre Heller aber weder eine Bettenbörse noch eine Kartenbörse noch ein Freizeitprogramm für Fans vor Ort ist von offizieller Seite geplant. Warum? Stattdessen werden Imagekampagnen veranstaltet, Konzerte gegeben und sich um allerlei VIPs und Businesskunden gekümmert.
Die Reaktion in vielen Fanlagern des Landes zeigen, dass sich die Fans, die jede Woche in den Kurven der Stadien stehen, übergangen fühlen und die WM sehr skeptisch sehen. Viele glauben, dass die WM ein Anlass ist, unter Sicherheits-Argumenten „lästige“ Fangruppen zu vergraulen und zu verdrängen. Die Praxis der letzten Jahre, langjährige Stadionverbote auch für kleine und nichtige Vergehen zu verhängen, bestätigt dies.

Die Meisterschaft ist ein aussergewöhnliches, einmaliges Ereignis. Die meisten Deutschen werden in ihrem Leben keine weitere im eigenen Land erleben. Da kann der Datenschutz einmal zurück stecken, oder?
Genau das wird oft hingenommen, ohne weiter nachzudenken. Der Fan ist Leiden ja gewöhnt. Ob lange und mühselige Anfahrtswege, knappe Kartenkontingente, schlechte Sicht, teure Plätze, extreme Überwachung auch schon bei der Anreise, ruppige Ordner, Polizeiaufgebote wie zu militanten Demonstrationen – alles wird hingenommen, Hauptsache man kann das Spiel seiner Mannschaft sehen. Der Durchschnittszuschauer ist natürlich mit Maßnahmen „gegen Hooligans“ einverstanden, wer mag die schon um sich haben? Ob diese Maßnahmen aber Verhältnismäßig sind und ob überhaupt eine Bedrohung existiert, wird seltener hinterfragt. Fussballfans eignen sich hervorragend zum testen von Überwachungsmaßnahmen und Polizei-Einsätzen in Menschenmengen. Vom Stadion zum Alltag ist es dann nur ein kleiner Schritt. In Bezug auf die Datenerfassung und die geplanten RFID-Chips ist leicht zu erkennen, dass es hier um wirtschaftliche Interessen der Industrie geht, evtl. auch von Teilen der Politik. Die WM dient als Vehikel zur Umsetzung von Maßnahmen und Prozessen, die sonst nicht vermittelbar und vor allem viel kritischer hinterfragt würden.



Was genau krtisiert BAFF am Vegabeverfahren der Tickets? Welche Informationen möchtest du nicht an den DFB weitergeben und warum nicht? Oder geht es doch nur um den Preis?
Für die Teilnahme an einer öffentlichen Veranstaltung muss, anders als der Datenschutz es z.B. für Kino und Theater vorsieht, der Name, das Geburtsdatum, die Anschrift und die Ausweisnummer angegeben werden. Eigentlich darf zur Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht die Angabe persönlicher Daten gefordert werden. Eine Weitergabe der Daten zu Werbezwecken kann zwar im Bestellformular abgelehnt werden, dennoch ist z.B. aufgrund der Angabe des genauen Geburtsdatums zu erkennen, dass nur die Werbewirtschaft an einigen Angaben interessiert ist. Für die Überprüfung einer Volljährigkeit ist nur die Angabe „18. Lebensjahr vollendet“ wichtig, nicht das genaue Geburtsdatum.
Die Daten werden dann mit den Daten der nationalen Sicherheitsorgane verglichen, um Gewalttäter von vorneherein auszuschließen. Dieser Datenaustausch zwischen staatlichen Behörden und privaten Veranstaltern ist rechtlich sehr umstritten. Wer einer Datenweitergabe zu Werbezwecken zustimmt, muss wissen, dass alle FIFA Verbände und alle Sponsoren darauf Zugriff haben.
Die Daten werden dann auf einem RFID Chip auf die Eintrittskarte kodiert, dieser lässt sich automatisch aus Entfernung auslesen. Diese Technologie ist bisher nur für Lager und Logistik genutzt worden und soll nun offenbar mit der WM „gesellschaftsfähig“ für Konsumgüter des Alltags werden. Zwei der Hauptsponsoren, Gillette und Phillips, sind mitführend in der RFID Entwicklung. Es wird argumentiert, RFID würde die Sicherheit vor Hooligans erhöhen und den Schwarzmarkt unterbinden. Allerdings werden Eintrittskarten nur Stichprobenweise auf Übereinstimmung mit dem Besitzer am Stadion überprüft. Das Sicherheitsargument erscheint daher absurd. Zudem ist nur das Kontingent für den freien Verkauf personalisiert, die FIFA- und Sponsorenkarten nicht. Wie schon in Frankreich ´98 muss befürchtet werden, dass der Schwarzmarkt hauptsächlich aus den Kontingenten der FIFA und der Sponsoren versorgt wird, diesmal quasi mit Ansage.

Ist es überhaupt möglich, ein Ereignis wie die Fussball-WM auch nur ansatzweise fanfreundlich zu gestalten? Was hat der DFB und sein OK besonders schlecht organisiert und warum?
Der DFB und das OK sind in vielen Punkten an die FIFA Vorgaben gebunden. Insofern geht ein Großteil der Kritik auch an die FIFA.
Wenn das Sponsoring und die Gewinnmaximierung höchste Priorität haben, sowie VIP- und Businesskunden als Hauptzielgruppe angesehen werden, dann ist die WM sicher gut organisiert. Wenn aber der vielzitierte „Fan“ im Mittelpunkt stehen soll (mal von den Mannschaften und Trainern abgesehen) dann ist vieles falsch gelaufen und nie beachtet worden.

Gehst du selbst zur WM?
Mal sehen, ich warte noch auf Gratiskarten von meinem Chef oder auf einen korrupten aber mir wohlgesonnen Funktionär...
An der Kartenbestellung nehme ich nicht Teil. Die Chancen, Karten aus anderen Kontingenten zu erhalten ist sicher größer bei grade mal einem Drittel Karten im freien Verkauf.
Allerdings kann ich mir gut vorstellen, dass es zur WM Fußballfeste geben kann. Allerdings weniger im Stadion und an offiziellen Veranstaltungen sondern an Grossbildleinwänden, in Kneipen, in Parkanlagen und überall, wo die Leute sind, welche den Fußball Woche für Woche leben aber diesmal ausgesperrt bleiben oder die Bedingungen unzumutbar finden.
Interview für den Übersteiger, Fanzine St. Pauli

Druckbare Version Die WM von A - Z Der Fußballfan zwischen Werbestatist und Hooligan