Wie gefährliche Fans gemacht werden
"Chaoten und Wahnsinnige“
„Chaoten und Wahnsinnige“
oder:
Wie werden gefährliche Fans gemacht?
Als in den 80er Jahren der Hooliganismus in Deutschland sich auf dem Höhepunkt befand, drohte dem Deutschen Fußball Bund (DFB) das gleiche Schicksal wie dem englischen ein paar Jahre zuvor: Die Verbannung der Vereine und des Verbandes aus den europäischen Wettbewerben. Regelmäßig an den Wochenenden drückten die Hooligans und ihr counterpart, die Polizei, der Atmosphäre bei Fußballspielen den Stempel auf. Lokale Hoolgruppen mit mehreren hundert Mitgliedern waren, wie die Beispiele Köln, Berlin, Hamburg zeigen, keine Ausnahme, sondern verweisen vielmehr auf die damalige Attraktivität, jener gewaltbereiten Gruppen auf viele Jugendliche.
Unter Ignoranz der gesellschaftlichen aber auch der sportimmanenten Ursachen wies der DFB damals wie heute jegliche Verantwortung von sich. „Das sind keine Fans, sondern Gewalttäter“ hieß und heißt der Standardspruch aus der Otto-Fleck-Schneise, ganz egal ob dies der ultrarechtskonservative Präsident Neuberger, der autoritäre Braun oder der ganz rechts außen stehende Mayer-Vorfelder verkündeten, „um die soll sich die Polizei kümmern, die haben beim Fußball nichts verloren!“
Wie nicht anders zu erwarten, wurde das mit der Polizei in den 80ern dann auch umgesetzt und die tat, was sie kann: trennen, draufhauen und einsperren. Doch an der Gewaltsituation verbesserte sich nichts – im Gegenteil.
1990, kurz nach dem Mauerfall, wurde ein Berliner Fan von Polizisten erschossen und 1991 wurde das Europapokalspiel zwischen Dynamo Dresden und Roter Stern Belgrad auf Grund von Ausschreitungen Dresdner Hooligans abgebrochen und damit schien das Fass bei der UEFA übergelaufen. Die Verbannung des DFB von der europäischen Bühne stand kurz bevor.
Unter massivem Druck der deutschen Politik musste der größte Fußballverband der Welt schließlich zähneknirschend anerkennen, dass auch er etwas mit der Gewalt beim Fußball zu tun hat und hektisch wurde dann im Rahmen des sich pompös anhörenden sogenannten „Nationalen Konzepts Sport und Sicherheit“ (NKSS) u.a. vermehrt Fan-Projekte eingerichtet (an denen sich der Fußball finanziell beteiligt). Aber nicht nur die pädagogische Arbeit der Fan-Projekte wurden im NKSS geregelt, sondern auch die Einführung bundesweiter Stadionverbote beschlossen, der Ordnungsdienst professionalisiert sowie weitere repressive Maßnahmen verfeinert.
Jedoch gilt trotz der finanziellen Beteiligung der Vereine und des DFB an den Fan-Projekten festzuhalten: An der eindimensionalen Wahrnehmung von Fußballfans als Störenfriede hat sich in der Otto-Fleck-Schneise bis heute nichts geändert. Deutlich wird das u.a. durch den Fakt, dass alle fanrelevanten Dinge beim DFB von einem Sicherheitsbeauftragten geregelt werden. Der DFB meint es sich leisten zu können, selber auf einen Fanbeauftragten zu verzichten, obwohl er genau dies in seinen Lizenzierungsbestimmungen von seinen Vereinen fordert. Alle Fragen, das Thema Fans betreffend, werden also aus der einseitigen Perspektive ehemaliger Richter oder Polizeibeamter behandelt, die vom DFB in der Regel als Sicherheitsbeauftragte ernannt werden. Von daher braucht sich auch kein Mensch zu wundern, warum sich die Erklärungen vom Verband oft anhören, als wären sie von der Pressestelle der Polizei verfasst.
Trotzdem hat sich in der zweiten Hälfte der 90er Jahre die Situation der Gewalt beim Fußball deutlich entspannt. Die Hools spielen in den allermeisten Fanszenen (teilweise stellt der Osten hier eine Ausnahme dar) fast keine Rolle mehr.
Hierzu haben sicher mehrere Faktoren beigetragen: Zum einen ist der Verfolgungsdruck durch die Behörden mit ihren immer feineren Überwachungsmitteln gestiegen und hat das persönliche Risiko für den einzelnen Hool erhöht. Zum anderen gelang es durch die Arbeit der Fan-Projekte offensichtlich der gewaltbereiten Szene teilweise den Nachwuchs abzugraben. Aber fast noch wichtiger in diesem Kontext: Durch das BAFF, und seit kurzem auch durch die Ultras wurde eine andere, positivere Fankultur in den Kurven verstärkt etabliert. Viele junge Leute, wenn sie heutzutage neu in die Kurven kommen, verorten sich viel eher hier als bei den doch eher als tumb und überholt angesehenen Hools und Kutten. Quasi als Metadiskurs fließt schließlich noch die Turbo-Kommerzialisierung der letzten Jahre in die Palette der Gründe mit ein, weshalb es heute weniger Gewalt beim Fußball gibt, hat sich doch in deren Windschatten die Zuschauerzusammensetzung merklich verändert. Fußball ist auch in Deutschland „sexy“ geworden und damit ein Markenartikel, der verstärkt neue Kundenschichten ansprechen soll.
War das Stadion durch die dumpfe und bierselige Männlichkeitsatmosphäre früherer Zeiten für bestimmte Kreise – nicht nur für Frauen - eine no-go area, so ist es heutzutage für die Schicki-Micki-Prominenz vermehrt schick, sich mit einem Stadionbesuch zu schmücken. Politiker versuchen so ihre „Bürgernähe“ auszudrücken und Geschäftsleute ergötzen sich in der Sicherheit der verglasten VIP-Box am prolligen Spektakel der Fans, bevor sie - noch naserümpfend - das nächste Millionengeschäft abschließen.
Exemplarisch zu überprüfen im Stadion von Leverkusen, ist doch dort der VIP-Bereich direkt neben der Gäste-Fankurve angesiedelt.
Die Vereine orientieren zwangsläufig ihre Verkaufsstrategien und die Präsentation ihres Produktes nun vermehrt an den Interessen jener neuen zahlungskräftigen Kundschaft.
Dieser Aspekt ist nicht ausschließlich negativ zu bewerten. Wenn nun beispielsweise mehr Frauen, die durch die von Sexismus und Chauvinismus geprägte Atmosphäre bisher abgeschreckt waren, verstärkt zum Fußball gehen, stellt das eindeutig eine Verbesserung der Situation dar. Man wäre fast geneigt, dies uneingeschränkt zu begrüßen, wäre mit dieser Verbesserung innerhalb der generellen Entwicklung des Fußballsports nicht zwangsläufig die Vertreibung all jener aus den Stadien verbunden, die den Verkauf des neuen Hochglanzproduktes stören könnten, den Fans.
Hiermit wären wir bei der grundlegenden Problematik angekommen. Denn neben den Spielern sind es ja wir, die diesen Sport so populär machen, weil er für uns gerade nicht ein austauschbares Freizeitvergnügen auf dem großen Markt der von PR-Agenturen künstlich gezüchteten Eventpalette darstellt.
Durch die Bedeutung, die das Spiel für uns hat und durch die Emotionen, die wir dem Fußball geben, erwecken wir das Spiel erst zum Leben. Es geht also bei der aktuellen Entwicklung nicht nur für uns ums Ganze.
Im Folgenden soll es darum gehen, wie dieses „Vorhaben“ unserer Verdrängung umgesetzt wird. Wobei es sich hier nicht um einen perfiden Plan irgendwelcher dunklen Mächte des Fußballs handelt (obwohl Figuren wie Mayer-Vorfelder oder Blatter diesen Gedanken nahe legen), sondern zu einem großen Teil vermischen sich die verkrusteten autoritären Strukturen des organisierten Fußballs, die Interessenlagen der Sicherheitspolitiker und die Verwertungsinteressen der Vermarkter und der Vereine zu einem Konglomerat aus Voreingenommenheit, Ignoranz und Machtwillen, das die Interessen von uns Fans als Abfallprodukt und als Störung des Geschäftsganges wahrnimmt und daher versucht zu eliminieren.
Der politisch-polizeiliche Hebel, über den diese Ausgrenzung organisiert wird, heißt Sicherheit. Mit der Begründung, den friedlichen Besucher von Fußballspielen vor den „Krawallmachern und Chaoten“ schützen zu müssen, wird ein Arsenal an polizeilichen und ordnungsrechtlichen Maßnahmen aufgefahren, dass einen manchmal an einen Kreuzzug gegen das Böse erinnert.
Bevor jedoch die polizeilichen und ordnungspolitischen Maßnahmen greifen können, muss eine Situation gegeben sein, - oder konstruiert werden - die ein repressives Vorgehen innerhalb der politischen und polizeilichen Entscheidungsebenen als notwendig suggeriert und vor der Öffentlichkeit als gerechtfertigt erscheinen lässt. Das diese Konstruktion im Bereich des Fußballs, unabhängig von tatsächlichen Gefährdungslagen funktioniert, spüren wir Fans Wochenende für Wochenende, wenn wir am Bahnhof von SEK’s und Hundertschaften empfangen werden
Wer hat welche Interessen?
Die Sicherheitsbehörden
In einem unheilvollen Zusammenspiel zwischen Medien, Polizei und der Politik wird Außenstehenden ein Eindruck der Gefährlichkeit der Fanszenen vermittelt, der mit der Realität fast nichts mehr zu tun hat. Wenn jeden Spieltag regelmäßig ganze Sonderzüge direkt mit dem Einlaufen in den Zielbahnhof völlig undifferenziert in einen wandernden Polizeikessel gesteckt werden, so ist dies nicht nur für den Kesselinhalt äußerst unerquicklich, sondern erfüllt gleich mehrere Funktionen.
Für die Polizei stellt diese regelmäßig wiederkehrende Situation ein wunderbares Experimentier- und Trainingsfeld für polizeiliche Einsätze in großen Menschenmengen dar. Woche für Woche kann so z.B. das polizeiliche Vorgehen bei politischen Demonstrationen an Fußballfans getestet werden. „Wandernde Kessel“, Videoüberwachung, die Arbeit der Beweissicherungseinheiten – nahezu alle Techniken für den Polizeialltag können Wochenende für Wochenende realitätsnah getestet werden.
Wie oft haben wir uns beispielsweise schon gewundert, warum gerade jetzt während des Spiels der vermutete 16 jährige Pyrotechniker von 30 Behelmten unter Schlagstockeinsatz aus dem vollbesetzten Block geholt wird, wäre da nicht der eine oder andere freundliche Einsatzleiter gewesen, der uns mit der Erklärung „es gibt nun mal keine besseren Trainingsmöglichkeiten“ Klarheit verschafft hätte. In der letzten Zeit wird bei derartigen Gelegenheiten „zur Eigensicherung der Beamten“ vermehrt Pfefferspray eingesetzt. Wenn’s nicht so sehr zum Heulen wäre, müsste mensch eigentlich lachen.
Zusätzlich wird später über die so erzielten Festnahmen, seien sie auch noch so unberechtigt, im Polizeibericht die Rechtfertigung für den nächsten robusten Polizeieinsatz gleich mitgeliefert, weil niemals die Berechtigung dieser Festnahmen in Frage gestellt wird – sind ja Fußballfans und da wissen wir ja, wie die sind.
Aber nicht nur für die Alltagsarbeit der Polizei bietet der Einsatz im Rahmen des professionellen Zuschauersports Fußball vielfältige Entfaltungsmöglichkeiten.
Innerhalb dieses ausgeklügelten und sich selbst bestätigenden Systems der inneren Sicherheit wird dieses künstliche Bedrohungsszenario von Innenpolitikern bzw. Polizeipräsidenten in allen Ländern quasi en passant zur Erhöhung des Personalbestands genutzt.
Anlässlich der Europameisterschaft 2000 wurde beispielsweise die innereuropäische Zusammenarbeit perfektioniert. Daten von Fußballfans aus aller Herren Länder wurden hin und her geschickt, in bilateralen Abkommen Ausreiseverbote überwacht und durch modernste Überwachungstechniken die Bewegungen der Fans observiert. Wir Fans lachen in der Regel darüber, wenn wir die reißerischen Artikel in den Medien sehen oder lesen, wenn angeblich konspirative Hooligangruppen mit ausgeklügeltem Plan und unter Verwendung modernster Techniken diese oder jene Stadt in Schutt und Asche legen wollen. Alle anderen aber glauben tatsächlich diese Märchen und rufen die Armee auf den Plan, wie das zum Beispiel in Belgien und den Niederlanden geschehen ist.
Es ist daher wahrlich nicht verwunderlich, wenn so mancher dem Fußballgeschehen etwas ferner stehende Beobachter, den Eindruck gewinnt, Fußballfans wären eine Art terroristische Bedrohung. Immerhin stellte das bürgerkriegserprobte Nordirland den belgischen Behörden in Charleroi neun „von der IRA getestete“ gepanzerte Fahrzeuge zur Verfügung um die englischen und deutschen Fans unter Kontrolle zu halten und wurde extra für dieses Spiel ein neuer Knast für 1000 Menschen bereitgestellt.
Das Anlegen irgendwelcher Dateien sowie der anschließende fast überhaupt nicht kontrollierte Datenaustausch stellt ein weiteres für uns Fußballfans düsteres Kapitel dar. Die beim BKA geführte Datei Gewalttäter Sport wächst seit ihrer Einrichtung. Ein Eintrag in diese Datei – der schon durch eine simple Personalienfeststellung vorgenommen werden kann, ohne dass der oder die Betroffene etwas davon erfährt – kann die skurrilsten Folgen haben. So ist es schon einer Reihe von Fans passiert, dass der Polizist, der sie im Rahmen einer stinknormalen morgendlichen Verkehrskontrolle angehalten hat, realisiert, dass er es mit einem Fußballfans zu tun hat, ins Du verfällt und fragt, ob man wieder mal zur nächsten Schlägerei unterwegs sei. Andere Fans schauten sich verwundert um, als sie beim Einchecken zum Thailand-Urlaub am Frankfurter Flughafen gemeinsam mit der Freundin auf einmal von zwei maschinengewehrtragenden BGS’lern umstellt und anschließend zum Verhör abgeführt wurden.
Ein Eintrag in die Datei wird niemals in Frage gestellt, weil der Betroffene es gar nicht erfährt, dass er gelistet ist und somit keine Chance hat, gegen einen Eintrag vorzugehen. Der Eintrag ist aber Grundlage für alle weiteren polizeilichen Maßnahmen, wie Gefährderansprache, Ausreiseverbot, Meldeauflage oder vorsorgliche Gewahrsamnahme. Vor der Europameisterschaft 2000 wurden auf Grundlage einer Eintragung in die Datei GWS 2000 Fans „die Pässe weggenommen“, wie Egidius Braun damals erleichtert formulierte. Drei Tage nach dem Endspiel bekam Deutschland die WM 2006 zugesprochen. So soll es wohl sein: die den Geschäftsablauf „störenden“ Fans werden aus dem Spiel genommen, die „Herren des Spiels“ machen sich die Taschen voll....
Die Vereine
Der Umgang der Vereine mit ihren Fans in dieser Frage ist ein äußerst zwiespältiger. Bis auf St.Pauli (ja, scheiße, die müssen leider immer wieder positiv herausgestellt werden) gibt es keinen Verein, der sich wirklich intensiv mit seiner Fanszene auseinandersetzt und sich dann gegebenenfalls auch für sie einsetzt, alle anderen Vereine kümmern sich mehr schlecht als recht um ihre Fans. Kaum ein Verein, der einen hauptamtlichen Fanbeauftragten beschäftigt, der tatsächlich was von seiner Aufgabe – und damit von Fankultur - versteht: Oft sind es abgehalfterte Profis, denen vom Verein ein Gnadenbrot gewährt wird, wie beispielsweise bei Borussia Dortmund, Kaiserslautern oder Bayern München, manchmal werden den geforderten Sicherheitsbeauftragten einfach die Fanbeauftragtenaufgaben zusätzlich aufgebürdet oder (heutzutage vermehrt) den Marketingstrategen der Vereine. Womit wir wiederum bei den eigentlichen Interessen der Vereine gelandet wären: Ein störungsfreier Verlauf des Events, der im Übrigen erst durch die „Bekloppten“ in der Kurve die hohen Erlöse beim Verkauf der Fernsehrechte erzielt und möglichst hohe Einnahmen aus dem Fanartikel-Verkauf.
Stadionverbote
Diese Interessen sind sehr deutlich am Umgang der Vereine mit jenen Fans zu beobachten, denen vom Ordnungsdienst oder der Polizei ein Fehlverhalten vorgeworfen wird. Die in der Regel einzige Reaktion besteht im Ausfüllen des Formulars für ein bundesweites Stadionverbot. Die vom DFB ausgearbeiteten und von allen Vereinen abgesegneten Richtlinien sind im Grunde genommen ein einziger Skandal, ist doch dort kein einziger Mechanismus vorgesehen, der demokratischen Spielregeln entspricht. Aus diesen Richtlinien spricht vielmehr der autoritäre Obrigkeitsstaat, der Mitsprache für ein bürgerliches Übel hält und ausschließlich strafen möchte. Es ist für einen Fan, der ein bundesweites Stadionverbot erhält, faktisch unmöglich dagegen Einspruch einzulegen. Die einzige Möglichkeit besteht in der Anrufung ordentlicher Gerichte. So also gehen die Vereine mit ihren Fans um, mit jenen, die für den Verein im wahrsten Sinne des Wortes alles geben und die in den Sonntagsreden der Vereinspräsidenten „der 12. Mann“ genannt werden. Wenn du als 16jähriger Ultra an einen Baum pinkelst, ein Polizist dich festnimmt und dem Verein vorschlägt, wegen dieses „Verbrechens“ ein bundesweites Stadionverbot auszusprechen, folgen die meisten Vereine diesem Vorschlag willenlos– meist in Person der Fan- oder Sicherheitsbeauftragten, die wie gesagt nichts von Fankultur wissen, der Polizei oder ihrem eigenen Ordnungsdienst alles glauben und so keine weitere Arbeit mit diesem Fall haben. Der 16jährige kann dann – das wird generös eingeräumt – sich einen Anwalt nehmen und vor ein ordentliches Gericht ziehen.
Früher gab es bei einigen Vereinen ein verbrieftes Anhörungsrecht der Betroffenen. Da trafen sich Vereinsvertreter, Fanbeauftragter, Fan-Projekt, Fansprecher, Polizei und der Betroffene zu einer Anhörung vor der Erteilung eines Stadionverbots. Der/die Beschuldigte konnte dann direkt beim Verein zu den Vorwürfen Stellung nehmen und nachdem alle gehört wurden, sprach dann der Verein ein Stadionverbot aus oder aber nicht. Es dürfte nicht überraschen, dass in der Regel kaum ein Stadionverbot ausgesprochen wurde, höchstens mal eins auf Bewährung, weil der oder die Betroffene entweder unschuldig waren oder glaubhaft versprachen, sich zukünftig besser zu benehmen. Heutzutage wird vom Vereinsvertreter ein anonymer Wisch ausgefüllt und damit ist der Vorgang für den Verein vom Tisch.
Bengaloverbot
Auch der heuchlerische Umgang der Vereine mit den neuen Anfeuerungsritualen der aufkommenden Ultrabewegung spricht Bände. Gerne werden die Choreografien vermarktet, das Fahnenmeer genossen und die Stimmung aus der Kurve gelobt, aber dass sich ein Verein beispielsweise bei den umstrittenen Bengalos im Sinne seiner Fans verwandt hätte – Fehlanzeige. Lieber beugt man sich seinem autoritären Dachverband als dass mal ein Konflikt mit jenem eingegangen würde, der den Fans zu Gute käme. Jedem Fan ist die Gefährlichkeit der Bengalos bewusst und aus diesem Grund gibt es bis heute keinen dokumentierten Fall einer Verletzung durch unsachgemäßen Gebrauch. Mancherorts versuchten Vereine gemeinsam mit Fanorganisationen Verfahren zu entwickeln, die ein kontrolliertes Abbrennen von Bengalfackeln erlaubten. Dies wurde Ende 2002 vom DFB per Handstreich verboten, ohne die positiven Erfahrungen dieser Versuche auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Vielmehr fordert der DFB zwingend eine Strafanzeige, selbst bei kontrolliertem Abbrennen.
Wie immer hat kein Verein dagegen interveniert – und wie immer ließ man die Fans im Regen stehen.
Die Ordnungsdienste
Ein letzter Punkt, der die Haltung der Vereine auch in kein besseres Licht rückt, betrifft die vom Verein eingekauften privaten Sicherheitsdienste, die im Stadioninneren stärker noch als die Polizei „für die Sicherheit zuständig“ sind. Deren Umgang mit den Fans, insbesondere, aber nicht nur, mit den Auswärtsfans, ist regelmäßig ein massives Ärgernis. Wer hat schon Lust, nachdem er viel Geld für eine Eintrittskarte bezahlt hat, sich von Hooligans mit Ordnerjacken drangsalieren zu lassen. Wir wollen hier kein Ranking aufstellen, aber wer schon mal als Gast in Leverkusen, Rostock, Frankfurt oder Cottbus war, weiß wovon hier gesprochen wird. Übertriebene Gewaltanwendung, Einsatz von Pfefferspray oder ein extrem respektloser Umgang sind überall in den Ligen an der Tagesordnung. In Kaiserslautern sind bekanntermaßen Neo-Nazis unter den Ordnern, in Cottbus Hooligans und in Rostock ziehen sich die Gewalttäter in Ordnerjacken erst noch „Haßkappen“ über, bevor sie in die Fans reinprügeln.
Die Schwachköpfe, die in der Regel diese schlechtbezahlten Jobs machen, fühlen sich darüber hinaus unantastbar, wenn sie ihren Dienst tun und offensichtlich bringt es ein wenig Sonnenschein in ihr ansonsten trauriges Dasein, wenn sie „ein paar asoziale Fußballfans“ schikanieren können. Klar ist, dass auch sie dieses Bild vom Fußballfan als Säufer und Randalierer als Rechtfertigung für ihr respektloses und oftmals kriminelles Verhalten im Kopf haben, ihre Vorgesetzten das noch verstärken und die Vereinsverantwortlichen dem nichts entgegensetzen, sondern vielmehr ihren Sicherheitsdiensten den Rücken stärken.
In den letzten Jahren hat sich gesamtgesellschaftlich im Bereich der Sicherheitspolitiken eine grundlegende Veränderung vollzogen, die exemplarisch im Bereich des Fußballs beobachtet werden konnte. War bis in die 90er Jahre hinein mit ganz wenigen Ausnahmen ausschließlich der Staat für die Gewährung der öffentlichen Sicherheit verantwortlich, so hat sich in den letzten 10 Jahren ein unheimlicher Paradigmenwechsel vollzogen. Sicherheit ist käuflich geworden. Private Sicherheitsdienste, Securityfirmen und Überwachungsinstitute stellen einen der wenigen prosperierenden Wirtschaftszweige in Deutschland dar - Sicherheitsindustrie.
Interessen der Medien
Womit wir bei denjenigen wären, die das vorurteilsbehaftete Bild von Fußballfans gewinnbringend mitproduzieren und vervielfältigen.
Für Presse, Funk und Fernsehen existieren Fans nahezu ausschließlich als Randalierer, Säufer und Nazis, als Problemgruppe eben. Oder als lautstarke Hintergrundstimmungskulisse, die dem Fernsehzuschauer und potentiellen Premiereabonnent auf dem Sofa suggerieren soll, wie viel Emotion in diesem Kick steckt. Nur dergestalt sind Bilder auf dem Markt verwertbar, nur so bekommen Fans Sendeminuten eingeräumt. Alle positiven Aktionen, Initiativen oder Vorfälle, die nicht in dieses Schema passen, finden in den Medien deswegen auch nicht statt.
Legt man ein gewisses journalistisches Ethos als Standard zu Grunde, welches alle Medienschaffenden zur Grundlage ihres Arbeitens machen sollten, versagen die Journalisten im Bereich Fußballfans in erster Linie in zwei Komplexen.
Als im Mai 2002 anlässlich des Pokalendspiels PRO 15.30, die Ultras, BAFF und „Kein Kick ohne Fans“, also nahezu die gesamte aktive deutsche Fanszene zu einer bundesweiten Demonstration aufrief, die sich gegen die zunehmende Kommerzialisierung und gegen die Repression durch Polizei, BGS und Ordnungsdienste rund um Fußballspiele wandte, fand exemplarisch das statt, was immer stattfindet. Höchstens 5% der in Berlin anwesenden Journalisten interessierte sich überhaupt für die Demonstration bzw. deren inhaltlichen Anliegen. Von diesen 5% war die überwiegende Mehrheit ausschließlich an potentiellen Ausschreitungen interessiert und genau so sah dann auch die Berichterstattung aus. Es kam fast nichts und das was kam, war verzerrend dargestellt. Dass dort 2500 Fußballfans aus der gesamten Republik – und aus Polizeisicht waren das auch noch die „Gefährlichen“ - über alle Vereinsgrenzen hinweg bunt und lautstark für ihre gemeinsamen Rechte demonstrieren, passt einfach nicht in das journalistische Weltbild von Sportjournalisten. Wenn zu professioneller Berichterstattung gehört, alle Aspekte eines Gegenstandes angemessen zu beleuchten, leben insbesondere die Sportjournalisten in einer Art Dunkelkammer, in die nur äußerst selten der Lichtschein der Erkenntnis eindringt. Ansonsten sehen sie nur das, was sie sehen wollen, berichten weiter ausschließlich über (vermeintliche) Gewalt und überfordern auf diese Weise auch nicht das Publikum.
Aber auch viele Fans tun das nicht, wie selbstkritisch angemerkt werden muss. Es immer wieder peinlich zu beobachten, wie erwachsene Menschen in Fußballtrikots sich benehmen können, wenn eine Kamera auf sie gerichtet ist. Urplötzlich beginnen sie dann zu singen, zu tanzen, Grimassen zu schneiden und sich vor der Kamera um den besten Platz zu balgen. Kein Wunder, dass der/die Betrachterin zu Hause den Eindruck gewinnen muss, Fans wären tatsächlich so, wie sie vom TV abgelichtet werden.
Neben der professionellen Weglassung besticht die Berichterstattung über Fußballfans durch Verkürzung, Instrumentalisierung und Eindimensionalität. Alle Wahrnehmung richtet sich auf das Thema Gewalt. Im Haifischbecken der gnadenlosen Konkurrenz auf dem Medienmarkt liegt es natürlich für jeden Medienschaffenden nahe, jenes Thema anzubieten, welches die größten Verkaufschancen verspricht. Da mit Sex in der Fanszene nichts zu holen ist, bleibt nur Randale und Gewalt.
Die Berichterstattung über das Europameisterschaftsspiel zwischen England und Deutschland im Sommer 2000 in Charleroi stellte alles bisher da gewesene in den Schatten. Wohl erstmals befanden sich bei einem Europameisterschaftsspiel mehr Journalisten außerhalb des Stadions als innerhalb, versprach doch die „bestangekündigte Randale aller Zeiten“ höchste Einschaltquoten. Die Vorberichterstattung zur Euro 2000 kannte nur die heiß erwartete Auseinandersetzung zwischen den englischen und deutschen Hooliganarmeen. Selbst CNN, wohl eher bekannt durch die Berichterstattung aus den Kriegsgebieten dieser Erde, schaltete von Bagdad live nach Belgien, um die erwarteten Toten zu zählen. Als der Bürgermeister von Charleroi Bilanz zog und nur von 7 kaputten Fensterscheiben berichten konnte, war kein Kameramann mehr da, der dies zur Kenntnis nehmen wollte. Die Berichterstattung hatte ihre Funktion schon im Vorfeld erfüllt. Zurück blieb – wie immer – das Bild der randalierenden Fans.
Einen letzten interessanten Aspekt bezüglich der Verbindung von Berichterstattung und dem Thema Sicherheit findet sich in der unterschiedlichen Verwendung des Themas Pyrotechnik. Wie oben schon erwähnt stehen sich die Sichtweisen von Fans und Sicherheitsorganen bei diesem Thema diametral gegenüber. Die Ultras wollen wahrgenommen werden, die Polizei will das verhindern. Aus der Perspektive der Polizei stellen die Medien hier ein ziemliches Ärgernis dar, sind es doch gerade die Bilder von brennenden Bengalen und buntem Rauch, die die Reporter von „südländischer Begeisterung“ schwärmen lassen und dies – nun hat man es schon mal ins Fernsehen geschafft – animiert natürlich alle Ultra-Gruppen, dies ebenso zu versuchen. Holt sich die Polizei jedoch einen 16jährigen mit brutaler Gewalt aus dem Block, weil er über Video erkannt wurde, mutiert dieser gerade eben noch südländisches Esprit verströmende Bub zu einem „gefährlichen Krawallmacher, der unseren Sport kaputt macht“.
Denn die Rollen sind verteilt und ein Fan kann niemals unschuldig sein.
Obwohl nicht davon ausgegangen werden kann, dass hinter all diesen Verhaltensweisen eine zwischen DFB/DFL, Polizei und Medienkonzernen vereinbarte Strategie steckt, bleibt festzuhalten, dass alle drei Institutionen ein handfestes Interesse an genau diesen Mechanismen haben, die schließlich das Konstrukt des gefährlichen Fans hervorbringen.
Auf Grund dieses konstruierten Bildes setzt sich auch niemand für die Fußballfans ein, deswegen erfährt auch keine der genannten Maßnahmen eine wie auch immer geartete nennenswerte Kritik. Dabei wurden in diesem Artikel, die gesamten Gesetzesverschärfungen, die mit der Begründung des Kampfes gegen den Hooliganismus eingeführt wurden, noch nicht einmal annähernd gestreift. Hauptverhandlungshaft, Schnellgerichtsverfahren unter Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten, die Möglichkeit jemand für immer längere Zeiträume ohne Anklage in Gewahrsam zu nehmen oder die Änderung des Passgesetzes mit einhergehendem Ausreiseverbot – immer mehr neue Gesetze wurden auf der Grundlage dieses konstruierten Bildes der gefährlichen Fans verabschiedet.
Und aus diesem Grund haben Fußballfans auch keine Lobby. In einer repräsentativen Umfrage wurde Ende der 90er getestet, welche gesellschaftliche Gruppe, die größte gesellschaftliche Ablehnung erfährt. Das Ergebnis stellt sicher keine Überraschung dar: Ganz knapp hinter den Mordbanden der Nazi-Skinheads, folgten die Hooligans – dies zu einem Zeitpunkt, als es sie schon gar nicht mehr richtig gab.
So einfach ist das:
Wir werden Wahnsinnige, Chaoten, Randalierer, Rabauken, Gewalttäter, Verbrecher, Tiere Spinner, Nazis, Säufer oder Kategorie A, B, C genannt und derartig gekennzeichnet ist der menschenunwürdige Umgang durch Polizei, Verein und Medien gerechtfertigt.
Literatur zum Weiterlesen:
Bürgerrechte und Polizei/CILIP 73/2002 – Innere Sicherheit und EU-Erweiterung
Schneider/Gabriel:
KOSMOS 3 – Krawalle, Kommerz und Krawattenträger – Die Fußballweltmeisterschaft 1998 in Frankreich (Koordinationsstelle Fan-Projekte bei der dsj, 1999)
ebenso:
KOSMOS 4 – „Fußball ohne Grenzen“ – die EURO 2000 in Belgien und den Niederlanden (Koordinationsstelle Fan-Projekte bei der dsj, 2001)
Klaus Ronneberger:
Die Stadt als Beute, Dietz 1999
Wilfried Breyvogel (Hg):
Stadt, Jugendkulturen, und Kriminalität, Dietz 1998
hier insbesondere der Artikel von
Detlev Freseh:
Kriminalität als Metasymbol für eine neue Ordnung der Stadt. Bürgerrechte als Privileg, Jugend als Störfaktor
Götz Eisenberg:
Amok - Kinder der Kälte. Über die Wurzeln von Wut und Haß. Rowohlt 2000
JungdemokratInnen/Junge Linke:
Freiheit stirbt mit Sicherheit. Handbuch gegen Überwachung und Ausgrenzung. Karin Kramer Verlag 2001
Rolf Gössner:
Erste Rechtshilfe – Rechts- und Verhaltenstipps im Umgang mit Polizei, Justiz und Geheimdiensten. Verlag Die Werkstatt, 1999
ebenso:
Mythos Sicherheit – Der hilflose Schrei nach dem starken Staat. Nomos Verlag 1995
Murray Edelman:
Politik als Ritual, Campus, Frankfurt/Main, 1990 (1964)
Nils Christie:
Crime control as industry, Routledge, London, 1993
Telepolis 03.03.2003
Neonazis in Securityfirmen. Das Sicherheitsgewerbe hat sich zur attraktiven Einkommensquelle vieler Neonazis entwickelt
www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/14284/1.html
Quelle: Die 100 "schönsten" Schikanen gegen Fußballfans -