13.01.2002: Auszug aus den Eintracht Frankfurt-Fan
Auszug aus den Eintracht Frankfurt-Fanzine "Fan geht vor"
"So einfach kann man Fans kriminalisieren"
Interview mit Michael Gabriel, Mitarbeiter der Koordinationsstelle der Fanprojekte
(mt/jh) "Fan geht vor" beschäftigt sich nun seit einigen Ausgaben mit der sich immer mehr verstärkenden Repression gegen Fußballfans. In unserer Nr. 90 haben wir mit einer Beschreibung der seit 1993 eingeführten bundesweiten Stadionverbote, die vor kurzem vom DFB nochmals verschärft wurden, be-gonnen. Danach versuchten wir über mehrere Monate brauchbare Informationen von der Polizei zu bekommen, um ein wenig Licht in die sogenannte "Datei Gewalttäter Sport" zu bringen. Dies war uns aber (ihr konntet das in der Nr. 91 und der Nr. 92 lesen) leider nicht möglich. Wir waren mit den Antworten der Polizei schlicht unzufrieden. Obwohl es uns schon ein wenig peinlich ist, euch immer wieder zu vertrösten: Wir bleiben trotzdem an dem Thema dran.
Nun haben wir vor kurzem Michael Gabriel von der Koordinationsstelle Fan-Projekte (KOS) interviewt. Michael (den meisten Leuten hier in der Szene unter Öri bekannt) arbeitete bis 1996 im Frankfurter Fan-Projekt und schrieb auch lange für Fgv. Seit 1996 arbeitet er gemeinsam mit Thomas Schneider bei der KOS, einer Einrichtung, deren Aufgabe es ist, bundesweit Kommunen oder Institutionen zu beraten, wenn diese neue Fan-Projekte einrichten wollen. Eine weitere Aufgabe der KOS ist es, bei internationalen Turnieren die Fanbetreuung für die deutschen Fußballfans zu organisieren, d.h. seit 1990 Italien waren die deutschen Fan-Projekte bei allen Welt- und Europameisterschaften mit einem Programm vor Ort. Das Herzstück dieser Programme sind die sogenannten Fan-Botschaften, Anlauf- und Infostellen für alle deutschen Fans.
Nach der Europameisterschaft gab die KOS eine Presseerklärung heraus, in der sie die Aufenthaltsbe-dingungen für Fußballfans in Belgien und den Niederlanden sowie die übertriebenen Sicherheitsvorkehrungen scharf kritisierte. Das und der bundesweite Überblick waren Anlass für Fgv, mal bei der KOS vorbei zu schauen.
Die Europameisterschaft ist ja nun einige Zeit her. Was war denn aus deiner Sicht das auffälligste Merkmal dieser Europameisterschaft?
Für mich die gegenseitige negative Beeinflussung der Medien und der Sicherheitsorgane. Die Euro 2000 war mit Sicherheit das Fußballturnier mit den größten jemals bereitgestellten Sicherheitsvorkehrungen. Alleine in Holland und Bel-gien sollen insgesamt 80.000 Polizisten die Euro geschützt haben. Zum Vergleich: Die EU überlegt zur Zeit eigene Streitkräfte aufzubauen, und die gehen "nur" von 60.000 Soldaten aus. Eine tatsächliche Armee von 80.000 Polizisten gegen eine von den Medien erfundene "Hooliganarmee". Die interessante Frage ist nun: Haben die Sicherheitsorgane tatsächlich so ein abstruses Bild von den Hools oder haben Teile der Polizei diese Hysterie genutzt, um ihren Apparat aufzurüsten?
In eurer Presseerklärung beklagt ihr eine große Diskrepanz zwischen den immensen Sicherheitsvorkehrungen in Holland, Belgien und in Deutschland und der tatsächlichen Sicherheitslage. Kannst du uns das mal genauer erklären?
Tatsächlich glauben wir, dass hier weit über das Ziel hinausgeschossen wurde. So weit, dass man sich sehr ernsthafte Sorgen um die Bürgerrechte machen sollte. Wenn ich in diesem Zusammenhang z.B. lese, dass bei der letzten Super-Bowl in Amerika spezielle neuentwickelte Kameras im Einsatz waren, die jedes einzelne Gesicht der 75.000 Besucher dahingehend gescannt haben, ob er oder sie in einer Verbrecherkartei gespeichert sind, gibt das einen sehr direkten Eindruck, was bald auch hier möglich sein könnte.
Um auf die Frage konkret zu antworten: An der deutschen Grenze wurden während der Euro nahezu eine halbe Millionen Menschen kontrolliert und sage und schreibe 109 angebliche Hooligans zurückgewiesen. Und wir als KOS wissen schon mal von mindestens 20 Fans, die völlig zu Unrecht die Ausreise verweigert bekamen. Die Niederlande hat ja nach allen Richtungen die Grenzen kontrolliert, also auch beispielsweise nach England und deren Bilanz sieht mit 13 zurückgewiesenen angeblichen Hooligans "noch schlechter" aus.
In Deutschland wurden auf dem Schnellverfahren Gesetze verändert und verschärft und im angeblichen Europa der freien Grenzen wurden wegen der Hooligans die Grenzkontrollen wieder eingeführt.
Noch ein Beispiel: In Belgien, wo es für Fans wirklich erschreckend war, nahm die Polizei bis zum Halbfinale 1.301 Personen fest. Bis heute wissen wir von zwei (!) Gerichtsverfahren. Die anderen 1299 haben offensichtlich Pech gehabt. Wie die belgische Polizei teilweise selbst zugab: Falsche Zeit, falscher Ort.
Dabei haben die deutschen im Vergleich zu den englischen Fans noch Glück gehabt, die hatten einen noch schlechteren Ruf und haben deshalb noch mehr Probleme gehabt. Für uns und unsere Freunde der FSA (Football Supporters Association, Anm. d. Red.) in England ist aber im Nachhinein wichtig, wie wir verhindern können, dass die unberechtigt Festgenommenen oder an der Ausreise Gehinderten nicht in irgendwelchen Dateien auftauchen.
Guter Übergang ... da wir ja nicht ausschließlich über die Europameisterschaft reden wollten. Kannst du unseren Lesern mal einen kurzen Überblick über die Mittel geben, die die Polizei im Fußballzusammenhang so einsetzt.
Da ist zum einen als Grundlage die "Datei Gewalttäter Sport", bei deren Einführung im übrigen schon damals die Fans bundesweit demonstriert haben. In ihr sind die Fußballfans in die berühmten Kategorien A, B und C eingeteilt. Ich kenne den Polizeijargon im Moment nicht hundertprozentig, aber sinngemäß kann man sagen A = friedliebend, B = unter bestimmten Bedingungen zur Gewalt bereit und C = zur Gewalt entschlossen. Wir haben einen Disput mit der Polizei, was die Zahl der in der Datei geführten Fans angeht. Die Fan-Projekte waren sehr überrascht, wie auf einmal vor der Europameisterschaft von der Polizei Zahlen (nämlich 8.000) in Umlauf gebracht wurden, die vor einem halben Jahr mehr als dreimal niedriger lagen, nämlich nur bei 2.600. Wir vermuten (und das belegt ja auch die Realität im Stadion), dass die sog. Kategorie B nun ähnlich wie die Hooligans gesehen und dementsprechend behandelt wird. Und offensichtlich werden die Ultras bundesweit zur Kategorie B gezählt, d.h. sie fallen auf einmal auch unter die polizeilichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr.
Was bedeutet das konkret? Welche Folgen kann das haben?
Sollte ich nun als Fan in der Datei sein, was man durch die Polizei jedoch nicht mitgeteilt bekommt, kann mir folgendes drohen: Ich werde von der Polizei im Stadion "freundlich" angesprochen, "die Füße ruhig zu halten", vielleicht besuchen sie mich auch zu Hause oder am Arbeitsplatz, um eine sogenannte "Gefährderansprache" durchzuführen, in schwereren Fällen können sie Meldeauflagen verhängen, d.h. ich muss mich zu bestimmten Zeiten auf der Wache melden oder ich werde bei internationalen Spielen vom Bundesgrenzschutz nicht aus dem Land gelassen oder die Polizei nimmt mir (salopp gesagt) den Pass für eine bestimmte Zeit weg oder in ganz schweren Fällen kann ich auch vor-sorglich in Gewahrsam genommen werden.
Was muss ich denn als Fan anstellen, um in die Datei zu kommen, denn einfach mal ohne Grund die Zahl verdreifachen geht ja eigentlich nicht, oder?
Wir stehen da auch vor einem Rätsel. Es gibt natürlich gesetzliche Grundlagen für die Datei, ebenso eine Verfügung, wer unter welchen Bedingungen für wie lange aufgenommen werden darf. Die sind aber offensichtlich so weich gefasst, dass für die Polizei vieles möglich ist. Im Grunde kann schon eine lapidare Personalienfeststellung Anlass sein, in die Datei zu rutschen.
Wir wissen auch von Vorfällen, bei denen fünf bis zehn Leute aus einer Menge von 70 Leuten angeblich Straftaten begangen haben sollen, woraufhin die gesamte Menge kontrolliert wurde und sich später aber herausstellte, dass alle 70 in die Datei aufgenommen wurden. Da konnte es sich tatsächlich jeder von denen abschminken, zur Euro fahren.
Ähnlich erging es sieben Münchner Fans, die bei einer Kontrolle in der Nähe von einem angeblichen Kategorie C'ler standen und auf einmal auch alle in der Datei waren und nicht aus Deutschland rausgelassen wurden.
Und das ist mit Sicherheit keine schöne Erfahrung, wenn man nichts gemacht hat, sich ganz arglos auf die Euro freut und Urlaub nimmt, viel Geld für Unterkunft und Eintrittskarte bezahlt und dann auf einmal an der Grenze nicht rausgelassen wird.
Wie viele Fans sind denn zur Zeit in der Datei gespeichert?
Ich habe ja den Briefwechsel zwischen der ZIS, also der polizeilichen Datensammelstelle, und FGV in der letzten Ausgabe auch gelesen und weiß leider auch nicht mehr als ihr. Wie gesagt, während der Euro wurde von 7.000 oder 8.000 Fans gesprochen.
Hast du eigentlich eine Erklärung, warum die Polizei unsere Fragen nicht beantwortet hat?
Nicht wirklich, aber wenn sie sich so unkooperativ verhält, scheint es sie zu stören, wenn Fans sich für ihre Rechte zu interessieren beginnen.
Was gibt es denn für uns Fans für Möglichkeiten, uns zu wehren?
Zuerst muss man mal wissen, ob man überhaupt in der Datei geführt wird, damit man nicht irgendwann mal unliebsame Probleme bekommt. Hierfür haben die Fan-Projekte in Zusammenarbeit mit einem Rechtsanwalt einen Formbrief entworfen, auf den die Polizei antworten muss. Einerseits dient das der eigenen Sicherheit, andererseits sieht so die Polizei, dass sich immer mehr Fans zu wehren beginnen.
Sollte man zu Unrecht in der Datei drin sein, kann man sich an die Datenschutzbeauftragten wenden, von denen einige dieser Datei sehr kritisch gegenüberstehen. Ich persönlich glaube auch, dass man dass nicht alleine angehen sollte. In einer Gruppe mit mehreren zusammen, sind die Erfolgschancen um ein vielfaches höher und (ganz wichtig) gemeinsam ist man stärker. Gerade innerhalb der Fanszenen sollte es meiner Meinung nach möglich sein, so was wie Solidarität und Zusammenarbeit zu entwickeln. Konkrete Hilfe hier in Frankfurt kann ganz sicher der Stefan Mayer vom Fan-Projekt geben.
Wenn wir uns die Lage in der Bundesliga anschauen, ist doch eindeutig festzustellen, dass es a) immer weniger Gewalt gibt, b) die Stimmung durch die Ultras nur besser geworden ist aber c) die Polizei auf einmal dreimal mehr "gefährliche Fans" ausgemacht hat. Das passt doch nicht zusammen.
Das sehe ich ähnlich. Ich behaupte, dass in einem Zusammenspiel zwischen Polizei und Medien - manchmal auch der Politik - ein Bild von "den gefährlichen Fußballfans" künstlich hergestellt wird. So können die Zeitungen immer wieder schreiben, "Gefahr: dreimal mehr Hooligans" und die Polizei und die Politik haben gleichzeitig eine Rechtfertigung für ihre strafverschärfenden Maßnahmen.
Nehmen wir doch das Beispiel Frankfurt: Hier ist es doch seit Jahren wirklich ruhig geworden was die Adlerfront oder Presswerk angeht. Gleichzeitig sorgen die Ultras hier im Stadion für eine Stimmung und Atmosphäre, die wirklich ihresgleichen sucht. Im Grunde eine absolut positive Entwicklung. Trotzdem behandelt die Polizei die Eintracht-Fans oftmals durch die Bank wie Hooligans, wenn ich mir z.B. die Auswärtsspiele in Cottbus und in Rostock anschaue. Zu solchen Spielen die Eintracht-Fans ständig im Polizeikessel zu halten, von allen Seiten zu filmen und gleichzeitig noch einen Hubschrauber im Einsatz zu haben, ist mindestens mal Ver-schwendung von Steuergeldern.
Die Situation in Karlsruhe ist ein weiteres bezeichnendes Beispiel. Dort gibt es tatsächlich seit Jahren keine Hools mehr, die "Destroyers" haben ihre Laufbahn schon lange beendet. Trotzdem gab es in Karlsruhe zur Europameisterschaft bundesweit die meisten Ausreiseverfügungen - obwohl es dort gar keine Hools mehr gibt! Da fällt es nicht schwer zu erraten, wen es anstelle getroffen hat.
Ich behaupte, durch ein derart undifferenziertes Vorgehen schafft die Polizei sich gerade ein neues Problem, als das sie irgendetwas verbessert. Die ganzen positiven Ansätze der Ultras werden so zerstört.
Das ist letztendlich auch der Grund, weshalb sich die Fan-Projekte auf diesem Gebiet zur Zeit so stark engagieren.
In einem Leserbrief in der FAZ beschwerte sich auch ein betroffener Frankfurter Fan von den Ultras genau darüber und kritisierte direkt die "szenekundigen Beamten" der Polizei. Was ist deren Aufgabe und wie schätzt du deren Rolle ein?
Sie sollen dem Polizeiapparat Kenntnis über die jeweilige Fanszene verschaffen. Den zweiten Teil der Frage kann ich leider nicht beantworten.
Ein großes Problem stellen zur Zeit Bengalos und Rauchentwickler dar. Viele Fans in ganz Deutschland fahren darauf ab, weil es ihrer Meinung nach die Atmosphäre positiv beeinflusst, die Polizei und der Ordnungs-dienst gehen mit Strafanzeigen und Stadionverboten rigoros dagegen vor.
Nicht nur die Ultras glauben, dass so die Atmosphäre positiv beeinflusst wird, sondern auch viele Vereine und das Fernsehen. Wenn ich mir anschaue, wie oft das TV bei einer Live-Übertragung genau diese Bilder einfängt oder vor kurzem sehe, dass der VFB Stuttgart, der Verein von Mayer-Vorfelder, zum Rückrunden-auftakt ein Riesenfeuerwerk im Stadion abbrennt, zeigt das aus pädagogischer Sicht genau das Dilemma. "Die einen dürfen's und lassen sich noch abfeiern dafür, und wir kriegen Stadionverbot" ist doch genau das, was Fans dabei als ungerecht empfinden.
Teilweise gibt es glücklicherweise aber fortschrittliche Verantwortliche wie in Jena oder Ulm, wo die Fans ihre Bengalos kontrolliert und sicher abbrennen können. Ein Modell, das ich sehr befürworte. Es wurde vor Jahren in Bochum über drei Jahre gemeinsam mit den Fans und dem Fan-Projekt organisiert und durchgeführt und es gab überhaupt keine Probleme. Aber auf einmal wurde es von der Polizei verboten.
Wir haben in dieser Frage ein klassisches Beispiel dafür, dass man ausschließlich mit Verboten und rigorosem Vorgehen durch die Polizei kein Problem lösen kann.
Fakt ist: Die Fans finden es geil und alle kriegen gleichzeitig mit, was in Italien, der Heimat der Ultras, alles so möglich ist. Diesen Vorbilder eifern die Ultras hier natürlich nach. Und wenn die Polizei das nicht wahr- und in ihre Einsatzstrategie aufnimmt passiert logischerweise folgendes: Sie nehmen viele junge Fans, mit Sicherheit keine Gewalttäter, fest, die aus oben genannten Gründen überhaupt kein Unrechtsbewusstsein haben und verhängen Strafanzeigen, Stadionverbote und nehmen sie in die Datei Gewalttäter Sport auf.
So einfach kann man Fans kriminalisieren.
Die anderen werden natürlich weiter probieren, das Zeug ins Stadion zu bringen, werden geschickter und vielleicht auch unvorsichtiger beim Abbrennen, weil man ja nicht erwischt werden will, und dann kann es noch gefährlicher werden.
Viele Fans gehen auch mittlerweile gar nicht mehr zur Bundesliga, sondern in die Amateurligen, weil es dort um ein vielfaches entspannter ist.
Um nicht missverstanden zu werden: Ich möchte hier nicht dem Abbrennen von Bengalos das Wort reden, dürfte ich auch gar nicht und ich persönlich finde es auch sehr gefährlich, sondern möchte nur die Problematik aus meiner Sicht schildern. Und da glaube ich, dass nur mit Ver-boten und Polizei sich nichts verbessert.
Was würdest du denn vorschlagen, wie die Verantwortlichen hier vorgehen sollten?
Das, was die Fan-Projekte schon seit Jahren vorschlagen: Man kann die Fans nicht nur als Sicherheitsproblem behandeln, man muss sie in alle Belange, was ihre Aufenthaltsbedingungen im Stadion angeht ernsthaft und verlässlich ein-beziehen. Das passiert leider viel zu selten.
Danke für das Gespräch