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Vom 1. bundesweiten Fußball-Fanzine-Treffen

 

Vom 1. bundesweiten Fußball-Fanzine-TreffenWER HOLT SICH WELCHES SPIEL ZURÜCK?
UND FÜR WEN EIGENTLICH?
Der Spaß- und Unterhaltungscharakter eines Fußball-Matches ist bereits jetzt einer Mehrheit der Stadion-BesucherInnen wichtiger als bspw. Das Interesse am Verein. In einer repräsentativen Umfrage des B.A.T.- Freizeitforschungsinstituts sprachen sich kürzlich 38% der Befragten für den bedingungslosen Kommerz aus, lediglich bei 31% der Interviewten liegt deren Support in der Sympathie für den eigenen Verein begründet. Und so mußte es auch auf dem Fanzine-MacherInnen-Treffen, das vom 9.-11.8. in Oer-Erkenschwick (Nördlicher Ruhrpott, Nähe Recklinghausen) stattfand, Thema sein: Wessen Interessen vertreten wir eigentlich (noch)? Wie definieren wir die Begriffe 'Kommerz' und 'Kommerzialisierung'?
Doch der Reihe nach. Nach mehrstündiger Autofahrt (davon ungefähr die Hälfte in der 'Hamburger Straße') erreichten 3 ÜSler plus Fahrer das lauschig zwischen Wald und Feldern gelegene 'Salvador-Allende-Haus', zentrales Tagungszentrum der 'Falken/Sozialistische Jugend Deutschlands', das an diesem Wochenende den aktiveren Teil der bundesrepublikanischen Fanszene beherbergen sollte. Und tatsächlich, fast alle kamen. Wohl knapp 100 Leute (ein Drittel ÜS reiste allerdings noch am Abend weiter Richtung Oberhausen. Siehe hierzu auch ÜS 22, Auswärtsbericht Oberhausen) von ein paar Dutzend Fußball-Fanzines waren vertreten. Einige das ganze Wochenende, andere nur 1 oder 2 Tage. Die St.Pauli-Zines Splitter, PiPa, Unhaltbar und Übersteiger (FanMag und Blödes Volk gibt's ja nicht mehr) waren erfreulicherweise alle anwesend. Als ein 'Woodstock für Fußballfans' wurde das Treffen vorab von Hauptinitiator Dieter Bott vom Duisburger Fanprojekt (an dieser Stelle noch einmal herzlichsten Dank für Dein Engagement, lieber Dieter!) angekündigt. Doch zum Glück blieben dies nur leere Drohungen und Räucherstäbchen und Jesus-Latschen somit in den mitgebrachten Jutetaschen. Der erste Abend war zum Kennenlernen gedacht, was im Mikrokosmos auch gelang, ich persönlich hatte sehr nette und interessante Gespräche mit 3 Duisburgern und einem Studenten aus Osnabrück, der gerade seine Diplomarbeit über Fußball-Fanzines schreibt. Alle Vier waren selbst keine Fanzinemacher, sondern einfach nur an den Themata interessiert, und immerhin war dies auch ein Anspruch des Treffens: offen auch für 'Nur-Fußballfans'. Der Samstag-Vormittag war den Arbeitsgruppen vorbehalten. Angeboten wurden die Themen 'Kommerzialisierung' (moderiert von Claudia vom VFoul), 'Verein - Identität - Vermarktung' (Rene, Unhaltbar) 'BAFF (Bündnis aktiver Fußballfans)' (Volker, Erwin) 'Tips für Fanzinemacher' (Volker, Bude) und 'Geschichte der Zeitung "Reviersport"'. Leider blieben für die inhaltlichen Debatten, die hauptsächlich in den AGs 'Identität' und 'Kommerz' geführt wurden, lediglich 2 Stunden am Samstag und beim sonntäglichen Abschlußplenum. Dies wurde von verschiedener Seite bedauert, dennoch resümierte das Plenum abschließend einen vollen Erfolg, ganz im Sinne der Olympischen Idee, daß Dabeisein eben alles sei. Dem stimme ich, trotz anfänglicher Skepsis, im nachhinein ebenfalls zu, denn dieses erste (!) Fanzine-Treffen stand tatsächlich ganz im Zeichen des sich Kennenlernens und das war gut so, und immerhin wurde ohne Widerspruch ein Nachfolgetreffen für den nächsten Sommer an gleicher Stelle beschlossen. Dort dann sollen mehr die Inhalte das Treffen dominieren, ohne daß dabei der Spaß, den wir selbstredend im August in Oer-Erkenschwick hatten, verloren gehen soll und darf.
Zu den Diskussionsinhalten nur soviel: Es gab unterschiedliche Einschätzungen darüber, in welche Richtung sich die totale 'Kommerzialisierung' mit ihrer eigenen Vehemenz bereits unaufhaltbar verselbstständigt hat. Die Statements reichten von "da ist noch was zu machen" bis hin zu "das kommt sowieso, die Frage ist nur: wann?" 'Wir holen uns das Spiel zurück' war das Motto des Zine-Treffens, doch leider machten ein paar Teilnehmer in den Debatten auf mich den Eindruck, als hätten sie die Flinte schon längst mit Korn getränkt, oder wie das heißt. Klar, bei der voranschreitenden Vereinnahmung des Profifußballs durch Privat- Fernsehanstalten, werbetreibende Großkonzerne, Sponsoren und vereinseigene oder -nahe wie -ferne Marketingfirmen kann einem schon angst und bange werden. Und auch, was ein paar Teilnehmer von bereits existierenden Perversionen zu berichten hatten (bspw. dem Einspielen von Zuschauer-Euphorie per Band in US-Stadien), trägt zunächst mal nicht zwingend dazu bei, allzu optimistisch in die Zukunft blicken zu können.
Doch wurde, und dies ist sicherlich ein nicht unerheblicher Faktor, konstatiert, daß mittlerweile das kritische Fan-Potential durchaus zur Corporate Identity der Vereine nicht unwesentlich beiträgt und dieser Umstand mittlerweile auch gern von den Vereinen offensiv genutzt wird. Die allgemeine Einschätzung in Oer-Erkenschwick war daher die, daß mit diesem Pfund durchaus auch positiv gearbeitet werden kann. Tenor: Ohne uns ist der Verein nichts!
Zum Begriff 'Kommerzialisierung' wurde einhellig festgestellt, daß es den reinen, wahren Fußball in den letzten Jahrzehnten ohnehin nie gegeben hat, Kommerz kein Begriff sei, der erst seit RTL und SAT1 eine Rolle spielt. Einige Teilnehmer wollten deshalb lieber von 'Amerikanisierung' sprechen, weil diese Titulierung wesentlich besser das treffen würde, was derzeit mit dem hiesigen Fußball passiert. Selbstkritisch wurde die Frage aufgeworfen, ob sich nicht bereits jetzt ein großer Teil der Stadion-BesucherInnen mit dem Status Quo (unsägliche Werbedurchsagen, vorgegebene Jubelmomente, menschengroße Plüschtiere auf dem Rasen, PKW-Verlosungen im Stadionrund u.s.w.) in den Arenen und beim Drumherum (TV, Vermarktung etc.) arrangiert hätte und wir uns somit fragen müssen, für wen wir eigentlich unsere Gegenstrategien noch aufbieten. Viele Fragen wurden gestellt, nicht alle beantwortet. Dies konnte das Festival allerdings, aufgrund der nicht gerade üppig vorhandenen Debattenzeit, auch nicht leisten. Einen Konsens jedoch gab es: "Fußball muß auch weiterhin offen bleiben für Arbeitslose, Jugendliche, sozial Schwache, für Leute, die die ganze Woche malochen und sich am Wochenende mal die Seele aus dem Hals brüllen wollen" (Bodo vom 'Schalke Unser'). Das Rahmenprogramm war, von der mißlaunigen 'Herrin der Bierkästen' einmal abgesehen (jede neue Bierbestellung ein 'Gang nach Kanossa'), ganz hervorragend. Für den samstäglichen Nachmittag wurde allen die Möglichkeit gegeben, ein DFB-Pokalspiel nach Wahl zu besuchen. Die meisten verschlug es nach Oberhausen, dem "Tiefpunkt im Revier" (TAZ), um sich dort den grottenschlechten Kick unseres FC anzutun. Rechtzeitig zum TV-Sport waren wir wieder 'daheim', wo, ganz alternativ, erst einmal Grillen angesagt war. Es folgte ein Livekonzert einer Duisburger Schülerband, das auf sehr unterschiedliche Resonanz stieß; mir persönlich gefiel die Kombo ganz gut. Im Anschluß gab es eine Lesung mit Christoph Biermann vom VFoul, Autor Gerhard Henschel (u.a. 'Titanic' und 'Das dritte Tor') sowie Jürgen Roth ('Wie werde ich Heribert Faßbender?'), die nicht nur sehr gut besucht war, sondern auch das hielt, was sie versprach: anspruchsvolle Unterhaltung pur. Man wähnte den kulturellen Höhepunkt des Abends.
Doch weit gefehlt, denn nun folgte der grandiose 'Mister Magic', ein Entertainer in weißem Lederanzug, der seine Heimorgel bediente, als sei Franz Lambert auf Ecstasy. Coverversionen von Fugazi, Green Day, AC/DC ('Sambastruck', wunderbar!) auf 'ner Hammondorgel erleben zu dürfen ist ungefähr so, wie der Genuß eines leckeren Cocktails im Fanladen. Die atmosphärische Lunte war also gelegt, nun ging es nur noch darum: Welche Fan-Fraktion beschimpft die jeweils andere gesanglich-phantasievoll am besten? Das musikalische Scharmützel endete jedoch ohne eindeutigen Sieger, und letztendlich gingen dann doch alle recht zufrieden und bierselig in die Federn. Von fraktionsübergreifenden nächtlichen Bett-Ringkämpfen wurde mir nichts zugetragen noch bekannt.
Erwähnenswert noch das zum Fanzine-Treffen erstmals erschienene neue MSV-Duisburg-Zine 'Blutgrätsche' (Rezension s. ÜS 22), das Einverständnis der Anwesenden, das nächste BAFF-Treffen in Hamburg stattfinden zu lassen, sowie das im Tagungshaus befindliche Arbeiterjugend-Archiv, das nicht nur eine umfangreiche Dokumentation der Geschichte der Sozialistischen Jugend in Deutschland vorweisen kann, sondern auch dabei ist, eine komplette Archivierung der hiesigen Fußball-Fanzine-Szene zu erstellen. Eine nicht kleine Basis ist bereits geschaffen, doch hofft ihr Leiter, Dr. Heinrich Eppe, ein grundsympathischer Mensch übrigens, 'sein' Zine-Archiv in Zukunft noch erweitern zu können. Hierfür benötigt er eure Hilfe! Wer also noch alte Fanzines, von welchem Verein auch immer, zu Hause herumliegen hat, sollte schleunigst Kontakt mit Heinrich aufnehmen. Seine Tel.-Nr.: 02368/55993, die Adresse: Archiv der Arbeiterjugendbewegung, Haardgrenzweg 77, 45739 Oer-Erkenschwick.
Mein Fazit: Gelungenes Wochenende, nette MitstreiterInnen kennengelernt; ich freu mich auf das Meeting im nächsten Jahr.
Aus: St. Pauli Fanzine"Der Übersteiger"Nr.23 vom 19.10.96


Druckbare Version BAFF-Wintertreffen im Dezember 1995 in Hattingen Das BAFF-Wintertreffen in Hamburg 1997