“Geister, die ich rief, wird´ ich nun nun nicht lo
Arbeitsgruppe 9:
Geister, die ich rief,
werd´ich nun nicht los -
Hooligans als der radikale Ausdruck
einer gesellschaftlichen Grundstimmung
Grundlage der Diskussion war die These, daß der nach Lens überall wieder skandalisierte „Hooliganismus“ nicht mehr aber auch nicht weniger als die extremste Form der Realisierung all der (maskulin, kapitalistischen) Erfolgsstrategien ist, die den Normalzustand unserer Gesellschaft charakterisieren. Insofern stelle einerseits die moralische Empörung und Verurteilung weitgehend die verlogene Verurteilung der eigenen dunklen Seite dar, andererseits trage sie in keiner Weise zur Bearbeitung geschweige denn zur Lösung der hinter der Gewalt stehenden Probleme bei.
Zunächst tauschten wir unsere Erwartungshaltungen zum Thema aus. Diese reichten von einem grundlegenden Informationsinteresse über die Frage danach, ob Hooligans mit Rechtsextremen gleichzusetzen sind (insbesondere in Neufünfland) bis hin zum Eindruck, daß es doch eigentlich das Problem „Hooliganismus“ außer in den Medien im Ligaalltag so gar nicht mehr gäbe.
Nach einem kurzen Video-Ausschnitt aus der DSF-Reportage über BFC-Hools vom April 98, in denen diese erzählten, wie sie ihr Verhalten einschätzen („Kick“, „andere gucken sich Boxkämpfe im Fernsehen an oder gehen Bungeejumpen...“ etc.) und dem einleitenden Referat von Andreas versuchten wir eine genauere Fassung dessen zu bekommen, über das wir eigentlich diskutieren wollten. Insbesondere war wichtig, daß wir aufgrund der unterschiedlichen Eindrücke aus den verschiedenen Städten festhalten konnten:
- Hooligangewalt und -auseinandersetzungen sind in der Fläche rückläufig. Dies hat nach dem Eindruck der meisten mit erheblichen Verstärkungen der repressiven polizeilichen Maßnahmen zu tun, die andererseits auch Auswirkungen auf alle anderen StadionbesucherInnen haben.
- In den verschiedenen Städten gibt es unterschiedlich starke Hooliganszenen. Diese sind nur in Einzelfällen identisch mit dem „harten Kern“ rechtsextremer Fans in den jeweiligen Fan-Szenen. Tendenziell ist das auf den ersten Blick „Unpolitische“ der meisten Hooligans häufig, aber eher nationalistisch und „rechts“. Wie uneinheitlich das Gesamtbild ist, das eine dementsprechende Differenzierung unbedingt erforderlich macht, zeigt das Beispiel Mainz: Dort forderten einige aus der „harten Szene“ nach Lens das örtliche Fan-Projekt auf, mit ihnen am Benefizspiel für Daniel Nivel teilzunehmen.
- St. Pauli-Fans sehen sich in letzter Zeit verstärkt mit Angriffen organisierter rechter Mobs konfrontiert, die ausschließlich auflaufen, um „Zecken zu klatschen“. Mittlerweile gibt es eine verstärke Disskussion um organisierte Gegenmaßnahmen und -gewalt in der St. Pauli-Szene („Präsent sein!“).
- Von der sozialen Herkunft des größten Teils der Hooligans kann von einem Mittelschichtübergewicht gesprochen werden. Dies gilt aber insbesondere für die Älteren, über 25jährigen. Bei den Jüngeren ist mittlerweile eine Tendenz der Herkunft aus sozial schwächeren Schichten und Leuten in prekären Arbeitsverhältnissen oder Arbeitslosen konstatierbar.
- Gerade die Jüngeren sind es häufig, die sich noch weniger an den (vorgeblichen) Ehrenkodex halten als ihre älteren „Vorbilder“.
- Im Osten scheint die Tendenz hin zu mehr Gewalt und einer stärkeren rechtsextremen Aufladung der Fanszene im allgemeinen und der Hooliganszene im speziellen deutlich erkennbar zu sein. Hier gibt es einen deutlichen Unterschied zur Wahrnehmung der Hooligans aus dem Westen.
Obwohl zu Beginn einige aus der Gruppe Andreas Eingangsthese für etwas gewagt hielten, kam die anschließende Diskussion jedoch zu dem Ergebnis, daß ihr Kern ziemlich akkurat den Tatsachen entspreche. Direkt anschließend stellte sich dann jedoch die Frage, wie dann noch der Gewalt begegnet werden könnte. Was soll der/die Einzelne unternehmen, wenn es doch eine gesamtgesellschaftliche Tendenz ist, die sich da im Stadion ihr extremes Ventil sucht?! Diese Frage diskutierten wir sehr ernsthaft und kontrovers. Das Spektrum der Äußerungen reichte vom Wegschieben der Verantwortung für das eigene Nichts-Tun und die eigene Ohnmacht auf „die Gesellschaft“ bis hin zur Forderung nach mehr Zivilcourage gerade im Stadion. Alle waren sich abschließend jedoch einig, daß ein Überdenken der eigenen Praxis erforderlich ist. Insbesondere sollte unbedingt darauf geachtet werden, daß differenzierte Prozesse und Phänomene auch entsprechend wahrgenommen werden. Dazu gehört auch und gerade die Nutzung unserer eigenen Medien (insbesondere der Fanzines) aber auch der Versuch des offenen Dialogs ohne Vorbedingungen und Vorverurteilung („Ihr bösen Hooligans!“ „Ihr blöden Kutten!“) - gfs. mit Unterstützung der Fanprojekte. Denn eins scheint klar: Eine Diskussion über Gewalt im Stadion zu führen, wenn die Luft erst brennt, ist offensichtlich von vornherein unvernünftig und zum Scheitern verurteilt. Deshalb müssen vorher Möglichkeiten für diesen wichtigen Austausch geschaffen werden.
Ob das alles eine „Lösung“ des „Hooligan-Problems“ bringen kann, scheint ungewiß. Gewiß ist aber, daß - wie bei der Kommerzialisierung und Versitzplatzung - wenn wir nichts tun, wir schon verloren haben...
Referent: Andreas Buderus (Autor des Buches: „5 Jahre Glatzenpflege auf Staatskosten“ & ehem. Fan-Projekt „Anastoß“ / Köln)