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Stadionverbote - Treffen beim DFB

 

Gesprächsrunde beim DFB zum Thema Stadionverbote am 10.08.2004

Am Dienstag, den 10.08.2004, fand in Frankfurt die anläßlich des Runden Tisches beim Bundespräsidenten in Berlin zu Beginn dieses Jahres vereinbarte Gesprächsrunde zum Thema Stadionverbote statt. Anwesend für den gastgebenden DFB waren Alfred Sengle (DFB-Vizepräsident für Rechts- und Satzungsfragen), Walter Hützen (Vorsitzender des DFB-Sicherheitsausschusses), Heinrich Bernhardt (Mitglied des DFB-Sicherheitsausschusses), Jörg Englisch (DFB-Justitiar) sowie die DFB-Mitarbeiter(innen) Claudia Schrezmann, Martin Spitzl und Gerhard Kisslinger. Die DFL wurde durch Herrn Baur vertreten. Mit am Tisch saßen ferner die Sicherheitsbeauftragten Sven Brux (St. Pauli) und Thomas Weyhing (VfB Stuttgart) sowie die Fan-Beauftragten Ralph Klenk (VfB Stuttgart) und Thomas „Tower“ Weinmann (Mönchengladbach). Für die Fanprojekte waren Michael Gabriel, Thomas Schneider (beide Koordinationsstelle Fanprojekte), Ralph Busch (Berlin), Antje Hagel (Offenbach), Jürgen Scheidle (Bochum) und Frank Steiner (Hamburg) dabei. Komplettiert wurde die Runde durch uns als Fanvertreter von Pro Fans (Gregor Weinreich) bzw. BAFF (Wilko Zicht).

Die Sitzung dauerte inkl. Mittagspause über vier Stunden und fand in einem überwiegend konstruktiven Klima statt; jedenfalls in stärkerem Maße, als dies beim Bundespräsidenten der Fall war. Von unserer Seite wurde einleitend deutlich gemacht, daß die Frustration über die in den letzten Monaten unverändert sehr negativ und ungerechtfertigt empfundene Stadionverbotspraxis weiter gewachsen ist. Dadurch wird auch maßgeblich das Image des DFB bei den Fans belastet. Auch Vertreter des DFB sprachen in diesem Zusammenhang von einem zerrütteten Verhältnis. Dies ist gerade auch in Hinblick auf die unter dem Motto „Zu Gast bei Freunden“ stehende WM 2006 sehr bedenklich. Deshalb wurde unsererseits ein deutliches positives Signal als Ergebnis des Treffens angemahnt. Der DFB machte jedoch deutlich, daß diese Gesprächsrunde keinerlei Entscheidungsbefugnis habe, sondern ausschließlich die Gremien des DFB endgültig über Änderungen der Richtlinien befinden könnten.

Dr. Sengle, der die Diskussion leitete und dominierte, legte statistische Auswertungen zum Thema Stadionverbote vor (Stand: Februar 2004). Hiernach bestehen insgesamt 1.661 bundesweite Stadionverbote, was nach seiner Ansicht dafür spreche, daß die Problematik völlig überbewertet werde. Auch die Behauptung, mit Blick auf die WM würden besonders viele über 2006 hinausgehende Stadionverbote ausgesprochen, werde durch die vorgelegten Zahlen widerlegt: In 2001 wurden 66,20 % der Verbote auf 3 Jahre, 12,96 % auf 4 Jahre und 20,83 % auf 5 Jahre – also bis 2006 – befristet. Man kann aufgrund der Zahlen aber durchaus auch zu anderen Schlußfolgerungen kommen. So wurden im Jahr 2001 insgesamt 216 Stadionverbote ausgesprochen, 2002 waren es 550 und im Jahr 2003 sogar 749 Stadionverbote. Daß diese Verdreieinhalbfachung der Zahl der Stadionverbote einer tatsächlichen Verschlechterung der Sicherheitslage in deutschen Stadien während dieses Zeitraums entsprach, wird wohl niemand behaupten wollen. Die Zahl der 5jährigen Stadionverbote stieg in absoluten Werten von 45 (2001) über 140 (2002) auf 184 (2003). Es drängt sich daher sehr wohl der Eindruck auf, im Vorfeld der Weltmeisterschaft werde die Handhabung der Stadionverbote immer stärker ausgeweitet, indem in harmlosen Fällen, die früher kein Stadionverbot nach sich zogen, nun 3jährige Stadionverbote ausgesprochen werden, während dort, wo man zuvor 3 Jahre lang ausgesperrt wurde, jetzt zur 5-Jahres-Keule gegriffen wird. Interessant ist auch die starke Zunahme der Stadionverbote aufgrund von Ermittlungsverfahren, die nicht Körperverletzung oder Sachbeschädigung betreffen: Ihr Anteil stieg von 28,7 % (2001) über 46,0 % (2002) auf 52,1 % (2003), in absoluten Zahlen stellt dies eine Versechsfachung von 62 (2001) auf 390 (2003) dar. Dies dürfte in erster Linie auf Fälle von angeblichem Landfriedensbruch zurückzuführen sein, den die Polizei nach unserer Beobachtung immer mehr als Auffangtatbestand verwendet, wenn dem Betroffenen nichts Handfestes vorgeworfen werden kann. In diesem Zusammenhang erwähnte der Sicherheitsbeauftragte des VfB Stuttgart, daß er sich an keinen Fall in seiner fast 20jährigen Tätigkeit erinnern könne, in dem ein Ermittlungsverfahren gegen einen Fan wegen Landfriedensbruchs mit einer Verurteilung endete.

In der Diskussion um konkrete Verfahrensverbesserungen hat der DFB in einigen Punkten Entgegenkommen signalisiert, andere Vorschläge aber wiederum kategorisch abgelehnt. Seine Haltung beruht in erster Linie weniger auf praktischen Überzeugungen, sondern vor allem auf juristischen Erwägungen: Stadionverbote, die getreu den Richtlinien ausgesprochen wurden, sollen einer gerichtlichen Überprüfung unbedingt standhalten können. Damit die Gerichte möglichst geringe Anforderungen an die Begründung eines Stadionverbots stellen, ist der DFB peinlichst genau darauf bedacht, den (auf der Hand liegenden) Eindruck zu vermeiden, Stadionverbote seien eine Bestrafung für ein bestimmtes Fehlverhalten. Stattdessen will er Stadionverbote als präventive Maßnahme zur Abwehr künftiger Gefahren verstanden wissen. Diese Unterscheidung ist natürlich sehr spitzfindig und im übrigen auch juristisch durchaus angreifbar. Der DFB ist davon aber nicht abzubringen, weil er dadurch erreichen möchte, daß die von Betroffenen angerufenen Gerichte Stadionverbote nicht etwa an den strengen Maßstäben des Strafrechts (z. B. Unschuldsvermutung) messen, sondern eher an den vergleichsweise laschen Grundsätzen der polizeilichen Gefahrenabwehr. Infolgedessen wehrt sich der DFB mit Händen und Füßen gegen alle Vorschläge, die das Verfahren bei den Stadionverboten in die Nähe eines strafrechtlichen Verfahrens rücken würden.

Im einzelnen:

Unser wichtigstes Anliegen war die ausdrückliche Verankerung eines Anhörungsverfahrens in den Richtlinien, um dem Betroffenen Gehör zu verschaffen und die Vereine zu zwingen, sich mit seinem Fall ernsthaft zu beschäftigen. Diese Anhörung sollte natürlich vor der eventuellen Aussprache eines Stadionverbots stattfinden, um unsinnige Stadionverbote von vornherein zu verhindern. Aus Sicht des DFBs kommt eine vorherige Anhörung jedoch nicht in Frage: Weil ja das Stadionverbot der Verhütung akuter Gefahren diene, müsse es sofort verhängt werden. Eine intensivere Prüfung sei erst nachträglich möglich. Immerhin erkennt auch der DFB an, daß die Einbindung des Betroffenen hilfreich ist, um die (angeblich) von ihm ausgehende Gefahr beurteilen zu können. Daher zeigte er sich dem Kompromißvorschlag gegenüber aufgeschlossen, künftig gleichzeitig mit der Verhängung des Stadionverbots dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Es würde dann also immerhin eine sofortige Prüfung des Einzelfalls einsetzen, ohne daß auf die Einstellung des zugrundeliegenden Ermittlungsverfahrens gewartet würde – was bekanntlich selten weniger als ein Jahr dauert.Die Richtlinien sehen in ihrer geltenden Fassung nur zwei Stufen für die Dauer eines bundesweiten Stadionverbots ausdrücklich vor: 3 Jahre oder 5 Jahre (jeweils beginnend ab Ende der laufenden Saison). Diese Fristen sind viel zu lang und allenfalls als Höchstgrenzen akzeptabel. Die durchschnittliche Dauer eines Stadionverbots sollte deutlich darunter liegen. Zudem müßten kurzfristige Stadionverbote für ein paar Spiele möglich sein, um bei vergleichsweise harmlosen Fällen einen „Warnschuß“ abgeben zu können. Auch die DFB-Vertreter zeigten eine gewisse Neigung zu dieser Ansicht und sagten eine nähere Prüfung zu. Befürchtet werde ihrerseits jedoch eine von Verein zu Verein uneinheitliche Behandlung ähnlicher Sachverhalte.

Ein besonders häufiges Ärgernis sind Fälle, bei denen das Stadionverbot aufgrund eines (angeblichen) Vorfalls bei einem Auswärtsspiel ausgesprochen wurde und der zuständige Verein die Aufhebung trotz der Fürsprache durch den Verein des betroffenen Fans verweigert. Daher wäre es wünschenswert, wenn generell der jeweilige Bezugsverein des Fans Herr des Verfahrens wäre. Dies ließe sich unseres Erachtens auch durchaus mit dem Hausrecht vereinbaren, da die Konzeption der bundesweiten Stadionverbote ja auf der Annahme beruht, daß die Gefährdung durch den betroffenen Fan in allen Stadien bestehe. Aus diesem Grund muß mit der Frage des Stadionverbots nicht zwingend der Verein befaßt sein, bei dessen Heimspiel sich der fragliche Vorfall ereignet hat. Einer generellen Übertragung des Verfahrens auf den Bezugsverein stand der DFB dennoch skeptisch gegenüber. Gleichwohl wurde von ihm die Sinnhaftigkeit einer stärkeren Einbindung des Bezugsvereins – insbesondere im Zusammenhang mit einem Anhörungsrecht – eingeräumt.Eine vom DFB seit langem versprochene, aber immer noch nicht umgesetzte Änderung der Richtlinien betrifft die Behandlung minderjähriger Fans. Von Seiten der Fanprojekt-Vertreter wurde hier sogar ein genereller Verzicht auf Stadionverbote angeregt. So weit mag der DFB natürlich nicht gehen. Trotzdem wurde eine ausdrückliche Sonderregelung für jugendliche „Ersttäter“ in Aussicht gestellt.Ebenfalls auf eine frühere Zusage des DFB konnte man sich bei der Forderung berufen, künftig auch bei Einstellungen des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens wegen Geringfügigkeit oder mangels hinreichenden Tatverdachts das Stadionverbot automatisch aufzuheben. Bisher sehen die Richtlinien dies lediglich bei einer Einstellung „wegen erwiesener Unschuld“ vor – ein Einstellungstatbestand, der in bezug auf ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren gar nicht existiert, da die Staatsanwaltschaft nicht über die Schuld bzw. Unschuld befindet, sondern lediglich über das (Nicht-) Vorliegen eines Tatverdachts.Darüber hinaus wurden einige Detailregelungen angesprochen, die hier nicht im einzelnen aufgeführt werden.
Alles in allem mochte der DFB keinerlei feste Zusagen abgeben, sondern behielt sich in allen erwähnten Punkten eine nähere Prüfung vor. Die erforderliche Befassung der zuständigen Gremien könne erst nach dem Bundestag im Oktober beginnen. Danach soll es jedoch zügig zu konkreten Resultaten kommen, d. h. spätestens zum Ende der Hinrunde der laufenden Saison.

Man darf gespannt sein, inwieweit der DFB die angedeuteten Verbesserungen umsetzt. Doch selbst wenn dies weitgehend geschehen sollte, werden die Richtlinien noch recht weit von unseren Idealvorstellungen entfernt sein. Weitergehende Zugeständnisse dürften allerdings – da die Vorbehalte des DFB wie gesagt in erster Linie juristischer Natur sind – nur durch entsprechende Gerichtsentscheidungen zu erreichen sein. Daher sollte in geeigneten Fällen nicht davor zurückgeschreckt werden, gegen Stadionverbote den Rechtsweg zu beschreiten. Es sollte Aufgabe der Fanprojekte und Fan-Organisationen sein, das Prozeßkostenrisiko für die Betroffenen abzufangen.

Da man bis auf weiteres jedoch mit den geltenden Stadionverbots-Richtlinien leben muß, stellt sich die Frage, inwieweit es zu sofortigen Verbesserungen der praktischen Handhabung der Richtlinien kommen kann. Wer sich die Richtlinien einmal durchgelesen hat, dem wird aufgefallen sein, daß sie eine Vielzahl von Soll-Regelungen enthalten. Interessanter Weise ließen die DFB-Vertreter durchblicken, daß sie nichts dagegen einzuwenden hätten, wenn die Vereine die durch die Soll-Vorschriften verbliebenen Spielräume stärker ausnutzen würden, als der Wortlaut es nahelegt. Hierauf sollte hingewiesen werden, wenn vor Ort ein Verein „streng nach Vorschrift“ handelt, ohne die Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen. Zu den Regelungen, die lediglich eingehalten werden „sollen“, aber nicht müssen, zählen u. a. die Regeldauer in Höhe von drei bzw. fünf Jahren sowie die sofortige Aussprache eines Stadionverbots, sobald ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Die Vereine dürfen sich ermuntert fühlen, hiervon abzuweichen, wenn sie es für sinnvoll erachten. Auch aus mehreren Praxisberichten der Gesprächsteilnehmer wurde deutlich, daß dies möglich ist, ohne Sanktionen des DFB befürchten zu müssen. Für die Klubs besteht also kein Anlaß, sich hinter den Richtlinien zu „verstecken“. Im Falle des häufig anzutreffenden Automatismus, nachdem Vereine nach der Meldung durch die Polizei über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ungeprüft ein bundesweites Stadionverbot verhängen, kann sogar auf schriftliche Erläuterungen des DFB vom April 2004 zu den Stadionverbots-Richtlinien verwiesen werden: „Der von der Polizei mitgeteilte Sachverhalt wird (...) von der das Stadionverbot aussprechenden Stelle überprüft und ggf. bei der Polizei hinterfragt. Dies soll gewährleisten, dass Stadionverbote nur auf Grundlage gesicherter Erkenntnisse ausgesprochen werden.“ Sofern der Sicherheitsbeauftragte eines Vereins dies anders handhabt, sollte durch die Fanszene vor Ort an sein Verantwortungsbewußtsein appelliert und auf den beschriebenen Sachverhalt hingewiesen werden.

Eine kleine Verbesserung der Richtlinien ist übrigens bereits zum 1. Juli 2004 in Kraft getreten: Bisher sollten bundesweite Stadionverbote auch ausgesprochen werden „bei Personalienfeststellungen, Platzverweisen und Ingewahrsamnahmen unter Verhinderung anlaßbezogener Straftaten gem. Abs. 3, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß die Person zukünftig solche Taten begehen oder sich an diesen beteiligen wird“. Auch der DFB scheint eingesehen zu haben, daß diese Formulierung Willkür Tür und Tor öffnet. Bei bloßen Personalienfeststellungen sind Stadionverbote nun gar nicht mehr vorgesehen; bei Platzverweisen und Ingewahrsamnahmen nur noch dann, „wenn hinreichende Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, daß die Person Taten gemäß § 3 Abs. 3 begangen hat oder begehen wollte“. Wer ein Stadionverbot absitzt, das im neuen Wortlaut keine Grundlage mehr findet, sollte beim aussprechenden Verein unter Hinweis auf diese Änderung die umgehende Aufhebung des Stadionverbots beantragen.

Gregor Weinreich (Pro Fans)
Wilko Zicht (BAFF)

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